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Die furchtlosen Heuchler

Das 5. Kapitel (Apostelgeschichte) Ein Mann aber mit Namen Ananias samt seiner Frau Saphira verkaufte einen Acker und entwendete etwas vom Gelde mit Wissen seiner Frau und brachte einen Teil und legte es zu der Apostel Füßen. Petrus aber sprach: Ananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllt, daß du den heiligen Geist belögest und entwendetest etwas vom Gelde des Ackers? Hättest du ihn doch wohl mögen behalten, da du ihn hattest; und da er verkauft war, war es auch in deiner Gewalt. Warum hast du dir solches in deinem Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gott belogen. Ala Ananias aber diese Worte hörte, fiel er nieder und gab den Geist auf. Und es kam eine große Furcht über alle, die dies hörten.

Man merkt es den großen christlichen Kirchen in der BR Deutschland an, dass da schon lange keine „große Furcht“ mehr ist, dass sie genau wissen, dass „ihr“ Gott nicht mehr auf Heuchelei und Lüge reagiert, indem er die Heuchler und Lügner einfach vor versammelter Gemeinde bloßstellt und effektvoll mordet. Dies mag widerspiegeln, dass diese Kirchen sich längst den Satan zum Gotte erkoren haben, oder doch wenigstens seinen glitzergüldnen Bastardsohn, den Mammon.

Die nützliche und kleinhaltende Todesangst vor Gott ist für die Anderen, nicht für die kirchlichen Heuchler und ihr Geschäft.

Wenn der Vorübergehende sein schattenhaft dünstelndes Dasein durch die dröhnvolle Stadt schleppt, muss er an vielen Schaufenstern vorübergehen, in denen sich kirchliche und kirchennahe Organisationen mit Hilfe der Schergen Satans, der bildbunten Brut der Werber, zur Schau stellen. In diesen zur Schau stellenden Fenstern warmgetünchter Hochglanz von glücklichen Alten und Kranken, fotografiert durch den Lächelfilter der Reklamelüge, und zu diesen Bildern kurze, hehre Wortfetzen von Pflege und Geborgenheit, zu stanzen einen Eindruck von sozialem Engagement im Kopfe der weniger Bewussten.

Niemand soll sich darüber verwundern, dass es diese Läden erst gibt, seit die so genannte „Pflegeversicherung“ aus solchem Tun einen guten deal gemacht hat. Nein! Engagiert und „sozial“ soll es aussehen, was da getrieben wird, wie ein Akt selbstloser Liebe.

Das sieht der Vorübergehende und spürt den unwiderstehlichen Reiz und würde sich zur Erleichterung zu gern erbrechen, wenn er doch nur etwas im Magen hätte. Denn er kennt die andere Seite, die nicht so glänzt, er weiß aus persönlichen Gesprächen von flugs angelernten Menschen, die sich in erzwungener, staatlicher Hartz-IV-Elendsarbeit für einen Nichtlohn in der so genannten „Pflege“ verschleißen müssen, damit auch ja der Profit stimme, er hat die ausgebildeten Schwestern kennengelernt, die einen befristeten Vertrag als Hilfsschwester nach dem anderen kriegen, immer mit dem mündlich gegebenen Versprechen einer anschließenden Übernahme in einer festen Anstellung und so knebelnd gehalten, dass sie sich noch krank zur unterbezahlten Maloche schleppen müssen, um ja nicht kurzfristig gekündigt zu werden und vor dem völligen persönlichen Nichts zu stehen. Er weiß von ständiger Verfügbarkeit, Einsparungen am Personal, selbstverständlich erwarteten, unbezahlten Überstunden und der völligen Unmöglichkeit einer persönlichen Lebensplanung im Zustand der totalen Ausbeutung und der täglichen, telefonischen Abrufbarket, die selbst noch im „Urlaub“ erwartet wird. Er hat mit diesen vom christlichen Pflegemoloch zu Material gemachten Menschen zu viele Tränen geweint, um angesichts des Zynismus und der werbenden Kälte dieses lichtscheuen Gesindels keinen Ekel zu empfinden. Und. Er ist sich sicher, dass auch die „Pflegefälle“ wie Material behandelt werden, weil es in diesem ganzen, asozialen Treiben der Kirchen und ihrer Geschäftsstellen nur auf eines ankommt: Auf den Reibach.

Und dies alles wissend findet der Vorübergehende es schon manchmal sehr schade, dass die zynischen, geldgeilen, pfäffischen Heuchler ohne jeglichen Respekt vor den missbrauchten Menschen nicht einfach wie in gewissen biblischen Berichten tot umkippen.

 

Quelle des Scans: Die Bibel, Apostelgeschichte, 5. Kapitel, Verse 1 bis 5, revidierte Luther-Übersetzung von 1956. Sorry für den heute schwer lesbaren Fraktursatz, aber ich habe gerade keine andere Bibel zur Hand — zudem zeigt dieses Schriftbild trefflich, wie obsolet dieses Buch im institutionalisierten Christentum wirklich ist. Mit Gruß an I. und C.

Gleichgültiges Fest

Es ist Sommer. Die Sonne hat keine Wahl und scheint auf nichts Neues. Die Straßen der Stadt sind warm. Die Menschen. Treibt es nach draußen. Da muss ihnen doch etwas geboten werden, damit. Sie nicht zu denken beginnen. Ein rauschendes Fest nach dem anderen wird auf den Straßen und Plätzen Hannovers aufgeführt, mit lärmender Musik und Bier im Plastikbecher, vierunddreißig internationen Pfannen, aus denen es zum Himmel stinkt und Feuerwerk. Und Feuerwerk. Für den Vorübergehenden, den Fühlenden und Denkenden, entsteht der Eindruck einer verzweifelten Riesensause auf einem sinkenden Schiff.

Und wer unter den Menschen sich trotz der vielen vorgestanzten Angebote darauf besinnt, dass er noch etwas selbst machen könnte, wird von der Polizei aufgelöst. Es ist eben nicht alles gleich gültig unter den Bedingungen der totalen Verwirtschaftung. Aber das. Soll den Feiernden gleichgültig bleiben.

Kreuz-Weise? Kreuzweise!

Mensch Jesus, bleib oben,
Sonst schlagn die dich tot!

Bettina Wegener

Jesus aus Nazaret starb nicht am Galgen auf Golgata.

Er starb und stirbt Tausende und Tausende der Tode. (Und gar mancher dieser Tode ist schlimmer und grausamer als das barbarische römische Justizmorden.)

Er — der übrigens nur wenig von formeller Religion gehalten haben soll — starb das erste Mal, als Saulus auf dem Wege nach Damaskus seine historisch gewordenen Hirnblitze ( Apg. 9 ) sah und darin einen nützlichen Leichnam für seinen gekränkten Narzissmus halluzinierte und aus diesem Kadaver eine Religion zimmerte.

Er — der übrigens niemals selbst auch nur einzige Zeile niedergeschrieben hat, die sich bis heute erhalten hätte und der deshalb offenbar nichts von einer auf ihn basierenden Schriftreligion hielt — starb bei allen gläubigen Empfängern der Briefe, die dieser Saulus lieber unter seinem neuen Namen Paulus verfasst hat, um der Welt zu erzählen, dass seine Halluzination der neue und einzige Gott für alle sei. Dass dieser sich Paulus nennende Saulus einer jüdischen Sekte angehörte, deren bis zur Neurose perfektionistische Form der Religionsausübung von Jesus immer wieder in ätzender Form kritisiert wurde, ist offenbar niemandem aufgefallen, und es schert sich bis heute keiner darum. Schon Paulus hat sich einen Dreck für die wirkliche Person hinter diesem Jesus interessiert und fand seine eigenen Trugbilder viel attraktiver — und genau so geht es bis heute den Judasfreunden, die diesen ganzen Unfug glauben und die sich Christen nennen.

Er — der einmal gesagt haben soll: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ — starb, als die paulusgläubigen römischen Sklaven singend und schafdoof in den Tod gingen und damit das System der Sklaverei erhielten. Ganz so. Wie es Paulus gefiel, damit er auch weiter Gefallen an seinem Sklaven hat. Er stirbt bis heute, wenn Christen in einem bekannten Danklied den Satz „Danke für meine Arbeitsstelle“ singen und damit die heutige Form der abstrakten Arbeit heilig sprechen, den Armen zur Knechtschaft und den Besitzenden zum sprudelnden Reichtum und zum Wohlgefallen.

Er — nach Aussagen seiner frommen Gegner ein „Fresser und Weinsäufer und Freund aller Sünder“ — starb, als Menschen ihre Sexualität von sich abspalteten und sich deshalb psychisch und körperlich selbst zerfleischten. Bis heute stirbt er in jeder Neurose, in jeder Bulimie, in jeder Unfähigkeit zur Liebe. Und. Alle diese Krankheiten sind nur moderne Bastardkinder der älteren Krankheit der Askese, der sinnlichen Selbsttötung als Lebensentwurf.

Er — der auf die formelle Anrede eines Fragestellers einmal erwidert haben soll, dass er nicht „gut“ genannt sein möchte, weil niemand als Gott allein gut sei — starb, als die Gläubigen des Paulus ein paar Jahrhunderte später erbost darüber stritten, ob ihr Jesus nun wesensähnlich oder wesensgleich zu Gott sei. Und. Als die Vertreter der letzteren Auffassung, die aus diesem Streit als Sieger hervorgingen, die Vertreter der ersteren Auffassung zu gottlosen Menschen erklärten, die für ewig in der Hölle zu brutzeln haben. Und. Genau So. Gilt es bis heute.

Er — der überliefert wurde als einer, der jede Form der Herrschaft durch Menschen über Menschen nicht für den Willen Gottes hielt — starb, als der heilige Hirnfurz des Paulus unter dem römischen Kaiser Konstantin zur neuen Staatsreligion des imperium romanum wurde. Als. Der von Paulus deformierte Jesus die staatliche Gewalt heiligen musste, so mörderisch sie auch wütete. Das tut dieser Jesus bis heute von seinem heiligen Galgen herab, dieser nützliche Kadaver der Herrschenden und Besitzenden und Großmörder aller Zeiten.

Er — der von der frommen Elite seiner Zeit gesagt haben soll, dass sie sich vor die Türe stelle, die in ein besseres Leben führt; dass sie dort selbst nicht hindurchgingen, aber auch niemanden anders hindurchließen — starb und stirbt am Petersplatz, wo sich ein Hurenbock nach dem anderen hinstellte und sich als „Heiliger Vater“ anreden und als Stellvertreter Gottes betrachten ließ und lässt, ja, bis heute so anreden und betrachten lässt. Auch. Von den staatlichen und wirtschaftlichen Verdummungsanstalten in Form des Rundfunks und der Presse.

Er — der überliefert wird als einer, der gleich einem durchgeknallten, auf einem Trip hängengebliebenem Hippie jede Form der Gewalt in jeder Situation abgelehnt haben soll — starb und stirbt, wenn sich seine selbsternannten Verwalter gestikulierend vor die Waffen stellen und in „seinem“ Namen ihre Zaubersprüche abmurmeln, damit diese Waffen auch ja ein gesegnetes Morden für die Wahrung der Besitzstände der Herrschenden und Besitzenden vollbringen. Er stirbt auch im „geistlichen Beistand“ für die Soldaten, damit diese auch ja ein billiges und williges Kanonenfutter abgeben.

Er — der angeblich in den formellen Gottesdiensten seiner Zeit so viel Heuchelei erblickte und dies in derart trefflicher Form zum Ausdruck brachte, dass man ihn schließlich deswegen umbrachte — starb und stirbt auf den Schlachtfeldern der vielen vielen „heiligen“ Kriege in „seinem“ Namen, vom ersten Kreuzzug, über den Tag, an dem der Katholik Adolf Hitler die Worte „Wir werden in diesen Krieg ziehen wie in einen Gottesdienst“ aus den Volksempfängern schallen ließ, bis hin zu den jüngsten crusades US-amerikanischer Präsidenten.

Er — der berichtet wird als einer, der in Bezug auf eine Ehebrecherin einmal die recht anzüglichen Worte „Ihr wird viel vergeben, denn sie hat viel geliebt“ gesprochen haben soll — stirbt in jeder mit der politischen Macht der heutigen Paulusjünger, Galgenanbeter und Judasfreunde verhinderten Empfängnisverhütung oder Abtreibung, bei der ein Mensch draufgeht, lebenslang als Krüppel leidet oder — noch viel schlimmer — als unerwünschter Mensch (oft gar als Ergebnis einer Vergewaltigung) psychisch so deformiert wird, dass von einem Leben keine Rede mehr sein kann.

Er — der so viel von der Liebe erzählt haben soll — stirbt in jedem Entwurf einer kalten, körperlosen Form des Miteinanders, auf welchem die Gläubigen des Paulus den Stempel „Liebe“ geprägt haben sollen, bis hin zum heutigen Geschäft mit der von unterbezahlten Elendsarbeitern ausgeübten „Pflege“, bei dem vor kirchennahe Organisationen ihren Schnitt machen. Und. Er stirbt in der Betrachtung des Geschlechtsverkehrs als „eheliche Pflicht“, die man zu erfüllen hat, fast so, wie den „Dienst am Vaterland“.

Er — von dem die unbekannten antiken Autoren einen ganzen Stammbaum seines Vaters Josef überliefert haben — stirbt an der psychischen Kastration, die sich im Gefasel von der „unbefleckten Empfängnis Mariens“ Bahn brach und bricht und darauf basierend einen Verzicht auf jeglichen Sexualgenuss fordert. Vieles von der Kälte in den heutigen Gesellschaften ist eine Spätfolge dieser christlichen Sexualverdammung und sich über Jahrhunderte erstreckenden religiösen Verschneidung der Gläubigen. Welchen Zweck. Der Stammbaum dieses Mannes da haben soll, kann einem auch der geschwätzigste Theolügner des Christentums nicht in einleuchtender Weise erläutern. Deshalb redet man in den Lügendiensten auch nicht so viel darüber, sondern fordert lieber die Menschen zur Enthaltsamkeit auf.

Er — der zwar kein Asket gewesen sein soll (vielleicht sogar ein kleines Wämplein hatte, so gut, wie er sich oft irgendwo einlud), aber zu einer allgemeinen Haltung der Sorglosigkeit in Fragen des Essens aufgerufen haben soll — stirbt in der Heiligung des Konsums. Und. Zwar genau so, wie er schon vorher in der so genannten „Eucharistie“ starb, dem magischen Essen einer trockenen Hostie, die im faulen Zauber des „Gottesdienstes“ als heilbringendes Opfer aus Menschenfleisch gedacht ist. Der Judas, auf dem ihr Christen euren mörderischen Judenhass basieren lasst, der hat ihn „nur“ verraten und verkauft, aber ihr Christen esst ihn auch noch auf!

Er — der doch schon so lange tot ist, dass sich niemand sicher sein kann, dass er überhaupt einmal gelebt hat — starb und starb und stirbt und stirbt und wird immerfort gemordet. Und. Alle seine Mörder sind brave Christen, die dem Paulus jedes seiner eiskalten Worte abgekauft haben und sich deshalb einen Scheißdreck für Jesus interessieren. Weil. Sie sich auch sonst einen Scheißdreck für Menschen interessieren, jedenfalls für andere Menschen als sich selbst.

Und. Er — der so viele warme und noch viel mehr wirre Reden gehalten haben soll — kann doch gar nichts dafür, dass Paulus so einen tollen, goldenen Galgengötzen aus ihm geschnitzt hat. Niemand interessiert sich für seine Reden. Wenn sich die Christen für Jesus aus Nazaret interessierten, gäbe es weniger Christen. Die Christen interessieren sich mehr für Paulus, der ihren Narzissmus heiligt, für gutes Essen, dass ihnen alles andere ersetzen muss, für die Abwehr ihrer Angst, die sie in der Religion finden und für ein neues Auto und einen größeren Fernseher — auf wie viel und wessen Blut dieser „Segen“ gedeiht, ist ihnen dabei recht gleichgültig. Und. Die Christen interessieren sich brennend für die Unterdrückung jeder Strebung, die ihren primitiven, barbarischen und narzisstischen Interessen zuwider läuft. Deshalb stört sich keine christliche Kirche jemals an einen Krieg oder an diesem brutalen Gemetzel an ganzen Völkern und Kulturen, das mit dem Wort von der „Globalisierung“ bezeichnet wird. Sie. Stört sich auch niemals an der Indoktrination der Kinder in staatlichen Schulen und an der Unterdrückung von anders gläubigen Menschen, sondern macht aktiv mit.

Verstehst du, Schwester?

Das ist der Grund, weshalb ich kein Christ sein kann. Ich habe nicht nur die Gewalt des Christentums am eigenen Leibe gespürt, ich habe zu allem Überfluss auch noch die Bibel gelesen. Ich müsste mich selbst belügen, um Christ zu sein. Und? Wie soll ich das anstellen? Ich glaube diesem Paulus und allen seinen Nachfolgern nicht ein einziges, den Menschen mit heftig knallender Angstpeitsche eingepeitschtes Wort.

Das verstehst du nicht, Schwester?

Deine Dummheit, Schwester, ist selbstverschuldet. Habe den Mut, vom Gehirnbesitzer zum Gehirnbenutzer zu werden, und du wirst ganz schnell verstehen, warum unter den vielen tausend Dankgebeten der christlichen Religion nicht einmal ein Dank für den Verstand des Menschen hörbar wird. Der Verstand muss in der Religion des Paulus und des Judas unterdrückt werden, denn er nimmt dieser psychischen Fessel ihre Kraft.

Wenn du bei deiner Dummheit bleibst, überrascht mich das nicht. Du reihst dich in eine lange Reihe von dummen Menschen durch die Zeiten ein und glaubst dabei den Beistand eines Jesus zu haben, der gesagt haben soll: „Der Weg ist breit, der ins Verderben führt, und viele sinds, die auf ihm gehen. Aber der Weg ins Leben ist eng, und nur wenige gehen darauf.“

Wenn du mich nicht verstehst, wenn du mich als einen Ungläubigen, Gottlosen, vom Teufel Besessenen ansiehst, denn reihst du dich in diese lange lange Reihe durch die Zeiten ein. Und längs dieser Reihe stehen die rauchenden Scheiterhaufen und die von Raben umflatterten Galgen und die mit Schmerz umflochtenen Räder und die Folterkammern und die Bordelle des Vatikans und legen ein zum Himmel schreiendes Zeugnis von den Zeiten ab, in denen die christliche Religion Grundlage der Gesellschaft war. Der Gott, an den du glaubst, der Gott, für den Zeit keine Bedeutung hat, wird die Geschichte genau so sehen — und deine Position darin. Und das. Ist der Platz den du selbst im Geschehen einnimmst, meine stinkende Schwester. Augen und Ohren und einen Kopf hast du: Zu den Risiken und Nebenwirkungen deiner Haltung schlage ein beliebiges Geschichtsbuch auf, und zu Jesus aus Nazaret schlage deine Bibel auf und vergiss mal für eine Woche den Paulus!

Und wenn du denn immer noch nicht verstehst, meine kindische Schwester, denn ist das dein Problem. Ich bin dafür nicht zuständig, lass mich bitte damit in Ruhe. Und wenn du es irgendwann, wenn die Barbarei sich wieder ausbreitet, zu meinem Problem machen willst und mich in meiner Andersgläubigkeit — es gibt keinen Menschen, der ungläubig wäre — bedrängst und verfolgst, denn wisse, dass ich dir nicht eine andere Backe hinhalten werde, sondern für das Recht auf mein verdammtes, von Geistarmen wie dir ständig angeknabbertes Dasein einstehen werde. Wenn es wirklich sein muss, auch in einem Kampf auf Leben und Tod. Jesusse, die wie ein blökendes Schaf freiwillig zum Metzger trotten, hatte diese ganze Geschichte schon genug. Die halten sich alle für so weise durch das Kreuz, aber sie können mich mal kreuzweise.

Und jetzt geh, Schwester! Du hast noch etwas zu lesen…

Wer sich hier angesprochen fühlt, ist gemeint. Wer männlichen Geschlechtes ist, lese einfach Bruder. Wer kopfschüttelnd und voller Unverständnis diesen langen Text gelesen hat, verzeihe mir bitte, aber nach diesem Gespräch mit einer christlichen Fundamentalistin musste es einfach raus, mir wäre sonst die Gallenblase explodiert — deshalb ist vieles auch ein bisschen roh formuliert.

Der Schäfer

Nothing eases suffering like human touch.

Letzte Worte von Robert James „Bobby“ Fischer

Bevor ich sie hörte, roch ich sie. Ein würziger Duft, den ich schon lange nicht mehr in die Nase bekam. Einige hundert Meter weiter auf dem Fahrrad längs des recht abseitigen Weges, und ich hörte auch das charakteristische Blöken einer Herde Schafe. Sie trotteten artgemäß langsam über die Wiese und verwandelten die in kauenden Mündern verschwindenden Kräuter und Gräser in Kotklümpchen.

Bei den Schafen ein Mann, dessen Gesicht verriet, dass er regelmäßig draußen arbeitet. Ich grüßte den Schäfer. Und der Schäfer grüßte zurück, prostete mir mit der Flasche Alsterwasser zu, die er in der Hand hielt und fragte mich mit einer Stimme, die gleichermaßen laut wie deprimiert klang, ob ich eine Bremse hätte. Das demonstrierte ich gern auf der Stelle, meine schlecht eingestellte Bremse brachte das Rad unter herzhaftem Quietschen genau neben dem Schäfer zum stehen. Ich fragte, warum er das fragte, ob ich auf dem Weg wohl noch einige freilaufende Schafe zu erwarten hätte. Und er antwortete, dass keine Schafe mehr auf dem Weg seien, dass er mich aber um eine „kleine Spende“ bitten möchte. Ja, da war ein Schäfer, der ganz offensichtlich jeden Tag viele Stunden arbeitete, und der dennoch die Menschen um Geld anbettelte. Ich erklärte ihn, dass ich selbst vom Betteln lebe und gerade noch ein paar Cent in der Tasche hätte. Hinter mir kam ein weiterer Radfahrer, einer, dessen Gefährt nicht wie das Meinige nach einem angerosteten Haufen Schrott von eher zweckmäßiger Funktion aussah, sondern den Eindruck erweckte, dass sein Fahrer richtig viel Geld in sein Hobby Radfahren investierte. Dieser Radfahrer grüßte auf dem Gruß des Schäfers hin gar nicht erst zurück, und als der Schäfer ihm bat, anzuhalten, fuhr er um so schneller weiter. „Es sind immer die Falschen, die anhalten“, sagte der Schäfer, „immer welche, die selbst nichts haben. Was soll ich denn machen? Von den Schafen kann ich nicht mehr leben, und den Leuten ist das völlig gleichgültig, wenn ich mit den Viechern verrecke.“

Er war geübt darin, die Tränen zu unterdrücken, aber das Beben in der Stimme war unüberhörbar. Ich ging langsam weiter und sah zu, wie ich selbst den heutigen Tag überstehe. Die kurze Zeit der gemeinsam erlebten Vereinsamung im Elend war vorüber.

Es wird dunkel. Und. Unentwegt blöken die Schafe.

Die Joggerin

Sie stand auf dem Bürgersteig auf der anderen Straßenseite. Wir warteten, denn es war eine Ampel, die uns mit rotem Licht zu warten gebot. Sie fiel mir nicht wegen ihres Aussehens oder wegen ihrer Kleidung auf. Sie trug Sportkleidung, dem Sommer der Laufenden angemessen dünn und kurz, in den Ohren der unvermeidliche Stöpsel, der den tosenden Lärm der Straßen meist mit einer „Musik“ zu übertönen sucht, die nicht viel empfindsamer als der Lärm ist, aber rhythmisch aufpeitscht. Sie war ein wenig kleiner als ich, war also recht hochgewachsen, und sie machte den Eindruck, als sei sie das, was der Falschsprech der Werbenden „figurbewusst“ nennt, als habe sie diese modische Vorstufe zur Bulimie. Aber all das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit auf sie zog, all das sah ich erst auf dem zweiten Blick. Was ich hingegen auf dem ersten Blick sah, das war die Haltung, in der sie darauf wartete, dass die Ampel grün werde. Sie stand nicht etwa untätig herum, sondern sie lief die ganze Zeit, immerhin fast eine Minute lang, auf der Stelle. Nicht etwa in der unbeschwerten Art eines hüpfenden Kindes, sondern mechanisch. Und. Sie sah bei dieser Verrichtung zur Verbesserung ihrer in Watt messbaren Leistungsfähigkeit ausgesprochen verkrampft und unglücklich aus.

Während ich diese Zuspitzung des freudlosen Körperkultes sah, die bei allen Reizen des davon davon betroffenen Menschen etwa so viel sex appeal wie eine tote Maus voller Maden hatte, dachte ich mir, dass man doch alle Energieprobleme damit lösen könnte, dass man Laufräder für Menschen mit einem Generator versieht. Und. Solchen Menschen in kraftvollen, werbenden Bildern erzählt, wie gesund doch die Übung sei, in solchen Rädern zu laufen und zu laufen. Zur schnelleren Amortisation kann man solchen Menschen gewiss auch etwas Geld für ihr „Training“ abnehmen.

Platz!

Er ist zwei Köpfe kleiner als ich. Und. Er bettelt. Er ist einsam, denn das ist die Folge eines Lebens als gesellschaftlicher Außenseiter. Das ist wohl auch der Grund, weshalb seine Stimme einen Klang bekommen hat, der in gleicher Weise zynisch und aggressiv wie angenehm zurückhaltend ist. Der Jüngste ist er nicht mehr, aber das sieht man erst auf dem zweiten Blick.

Denn. Obwohl er einsam ist, ist er nicht allein. Er führt einen Hund mit sich, und das ist das Bemerkenswerte an dieser Begegnung. Denn neben seinem Hund. Wirkt er noch kleiner. Sein Hund ist eine riesen Deutsche Dogge, und man fragt sich bei diesem Anblick unwillkürlich, wo wohl die versteckte Kamera ist — zu surreal sieht die Szene aus. Aber es ist keine versteckte Kamera. Es ist Wirklichkeit.

Als er mich anbettelt, gebe ich ihm zu verstehen, dass ich selbst vom Betteln lebe; wir teilen eine Zigarette von meinen letzten Krümeln Tabak und ein paar warme Quäntchen Wort, von denen wir Herzen der Gosse oft zu wenig bekommen. Und irgendwann frage ich ihn zwischen Wetter und sporadischen Erlebnissen und Plänen und Taten und Träumen, wie er sich überhaupt mit einem so großen Köter durchschlägt, der doch wohl auch einen großen Hunger hat.

Die Antwort ist nur im ersten Moment verblüffend. Er braucht, so sagt er, den Hund, um die Wohnung halten zu können. Das Futter für den Hund ist niemals das Problem, denn der Metzger gibt dem Hund bereitwilliger als jedem Menschen das, was er nicht mehr verkaufen kann. Aber nicht nur der Metzger sei so gestrickt, setzt er fort, sondern alle geben ihm mehr beim Schlauchen, wenn er mit dem Hund an der Straße steht, ja, es reicht für die Bude und einen täglichen Bauchvoll. Er hat den Hund damals eigentlich nur von einem Bekannten genommen, der für längere Zeit ins Krankenhaus musste, weil er es nicht übers Herz brachte, dass dieser tolle Hund im Tierheim landet, und irgendwie schlägt man sich ja immer durch. Doch dann entdeckte er sehr schnell, dass es sich mit dem Hund müheloser und besser bettelt, dass die Menschen viel eher zum Geben bereit sind, wenn sie ein Tier in Armut sehen. Als wenn sie einen Menschen in Armut sehen. Und schließlich sagt er noch, dass er in den Augen der ganzen Arschlöcher hier als verarmter Mensch noch wertloser als jedes Haustier ist, und genau das. Hat er lernen müssen in den letzten Jahren. Und. Wie er das so bitter sagt, klingt er gar nicht grimmig, obwohl er mit seinen kurzgeschorenen Haaren und seinem recht kalten Blick sehr aggressiv aussieht, sondern er klingt. Sehr resigniert. Ganz wie jemand, der von seiner Gesellschaft in täglicher Dressur mit Zuckerbrot und Peitsche gelernt bekommen hat, was sein Platz ist.

Und er sagt, nicht im bellen Kommandoton, sondern in eigentümlich leiser und fast lieber Stimme zu seinem Hund: „Platz!“

Mit fröhlichem Gruß an A.

Deutschland in Europa

dô wart sîn riuwe alsô grôz
daz im in daz hirne schôz
ein zorn unde ein tobesuht,
er brach sîne site und sîne zuht

Hartmann von Aue, Iwein

Im Vorbeifahren auf einem Wahlplakat der FDP den claim gelesen: „Für ein Deutschland in Europa“. Es ist doch tröstlich, dass diese hemmungslosen, kryptofaschischtischen Volksverkäufer, die am liebsten jedes Lebensrecht eines Menschen unter Erwägungen wirtschaftlicher Ausbeutbarkeit bewerten und entwerten würden; dass dieses Pack wenigstens die Geografie unverändert lassen will. Es handelt sich wohl um das erste Wahlversprechen in diesem Jahr, das ich glauben kann.

Bei so viel Dummheit und Dumpfheit mag sich auch der politische Mitbewerb in Form der CDU nicht zurückhalten. Allerdings ist der claim hier noch ein bisschen kürzer gefasst und fetter gedruckt: „Wir in Europa“. Damit auch letzte verhinderte Volksgenosse diese Nullaussage richtig zu deuten vermag, ist das Wort „Wir“ in den Farben schwarz, rot und gelb hinterlegt. Es erinnert leicht an die zum Glück nicht ganz so langen tausend Jahre, in denen das Deutschland der Reichen und Schwerindustriellen sich mal so richtig in Europa auswüten konnte. Aber aber, wirrer Werber, die passenden Farben für diesen Anklang sind doch etwas andere, nämlich schwarz, weiß und rot.

Die Genossen von der SPD, nachdem sie so lange genossen haben, dass man sie in der verblendeten Wahrnehmung für so etwas wie eine Partei mit einem besonderen sozialen Zug hielt, sie verzichten in ihrem groß gedruckten claim vollständig darauf, so etwas wie einen eigenen Standpunkt zu vermitteln. Statt dessen soll eine Kampagne der reinen Abgrenzung etwas an den miesen Umfragewerten dieser sonst so Sozial-Populistischen Demagogen ändern, und so wird in großen Schreibuchstaben zum kontrastarmen Bild eines Föns getextet: „Heiße Luft würde die Linke wählen“. Etwas kleiner steht darunter „Für ein Europa der Verantwortung“. Es ist allerdings nicht zu befürchten, dass diese Worte voller heißer Luft und kaltblütiger Verlogenheit bedeuten würden, dass Schröder, Müntefering, Hartz, Rürup und der ganze Rest der großtenteils kriminellen Bande, der unter der Schröder-Fischer-Regierung damit begonnen hat, Deutschland im Zustand der politsch gewollten Massenverelendung an den Meistbietenden zu verkaufen, jemals zur Verantwortung gezogen würde.

Wer wissen will, wie man das Wort „Politikverdrossenheit“ wirklich buchstabiert, der muss sich nur anschauen, zu welchen Kürzeln diese unverschämte Leere und Verachtung denkender Menschen auf Plakaten transportiert wird.