Archive for Januar, 2008


Richtung und Garheit (8)

C‘est le ton qui fait la musique — Adolf Hitler sagte einmal: „Was für ein Glück für die Regierenden, dass die Menschen nicht denken„. Man mag über die Intelligenz Hitlers denken, was man will, aber in der Kombination dieses Ausspruches mit seiner gesamten Inszenierung als „Führer des deutschen Volkes“ zeigt sich wenigstens, dass er genau erkannt hat, worauf es im Zeitalter der Massenmedien und einer meldungsgeilen Content-Industrie ankommt: Nicht auf Inhalte, sondern auf die passende Aufführung und den passenden Ton. Wenn man heutige Wahlplakate und die heutigen Aufführungen zur scheinbar demokratischen Legitimation der politischen Kaste sieht, muss man traurig feststellen, dass zumindest in dieser einen Einsicht immer noch Hitler gefolgt wird. Vor allem. Von denen, die es verstehen, regelmäßig zu gewissen Tagen ihre „demokratische“ Gesinnung plakativ und medienwirksam in Szene zu setzen.

Die wahre Revolution — Wenn der Fühlende und Denkende als ferner Betrachter einen politischen Umsturz erlebt, kann er sich jedes Mal über die Leichtigkeit verwundern, mit der sich die meisten Menschen an die „neue“ Situation anpassen können. Diese stehen und leben über Nacht für Werte und Überzeugungen, die noch den gestrigen grell widersprechen. Was sich in diesem Phänomen zeigt, ist die blindwütige Hörigkeit der Individuuen gegenüber den Strukturen der Macht, letztlich gegenüber den jeweiligen großen Gewalttätern. Diese Hörigkeit und die Verdrängungstechnik der Identifikation des ausgelieferten Opfers mit dem Gewalttäter zu überwinden, das erst ist der Beginn. Eines wirklichen Umsturzes.

Über die Moral — Die so genannte „Moral“, mit deren Vorgaben so viele Werke und Haltungen der Kälte, Roheit, Grausamkeit begründet werden, sie ist nichts weiter als eine Form der Prothese, mit der die Menschen eine schwere Behinderung ausgleichen wollen. Diese Prothese wird nur von jenen getragen, denen wirkliche Güte und Wärme fehlen; sie kann — wie etwa eine Prothese für ein fehlendes Bein — ihren Träger dazu verhelfen, dass er ein bisschen laufen kann. Und. Sie ist — wie jede Prothese — nicht etwas Warmes und Lebendiges, sondern etwas Kaltes und Mechanisches, zudem ein unnatürlicher, technischer Behelf. In einer Gesellschaft, die seit langem aus Trägern von Holzbeinen besteht, neigt man allerdings zu leicht dazu, ein warmes, fleischernes Bein für einen krankhaften und unnatürlichen Auswuchs zu halten, der zu amputieren und durch eine Prothese zu ersetzen ist. Diesen Vorgang nennt man Erziehung. Mit ihm einher geht die — moralische — Forderung, dass die so Erzogenen auch noch dankbar für das „gute“ Werk sein sollen, dass an ihnen ausgeführt wurde.

Das elfte Gebot — Das letzte und letztlich wichtigste Gebot der Moral lautet: Du sollst vergessen und verdrängen, wie viel Schmerz dir die erlebte Deformation bereitet hat! Wenn du den Schmerz dennoch verspürst, sollst du ihn abwehren! Entweder, indem du die daran hängenden Affekte an anderen Menschen auslebst und zum Faschisten wirst. Oder. Indem du Psychologe oder Sozialpädagoge wirst und anderen dabei hilfst, ihren Schmerz abzuwehren. Oder. Indem du deine eigene Lebendigkeit verleugnest und die darauf folgerichtig fühlbare Leere mit allerlei sinnlosen, aber die Sinne stopfenden Tätigkeiten übertünchst. Vom allgemeinen, unreflektierten Vergnügt- und Unterhalten-Sein führt ein direkter Weg zu einem entmenschten, alles ordnenden und organisierenden Staatswahnsinn und schließlich sogar zu Mordanstalten, die so weit außerhalb der allgemeinen Aufmerksamkeit liegen, dass sich jeder erfolgreich einreden kann, er wisse davon nichts.

Fiat nox — Am Anfang des Prozesses, der über die Gesellschaften abläuft, stehen nicht etwa einzelne, äußerliche Ereignisse, die dem Bewusstsein und damit auch der bewussten Kritik zugänglich wären. Sondern. Die Selbstverständlichkeit ungezählter Momente im Mit-Ein-Ander, die deshalb allzu leicht verdrängbar sind, weil kaum ein Mensch jemals imstande ist, sie zu beschreiben; die in ihrem Frost kaum fühlbar sind, weil in Vergessenheit geraten ist, dass es überhaupt etwas anderes geben kann. Die verdrängte Angst und die ebenso verdrängte, permanent erlebte Demütigung des Ausgeliefert-Seins verschieben sich zu dumpfem Zorn. Entweder gegen das eigene Selbst, oder gegen äußere Ersatzziele. Nachdem der Affekt seine ursprüngliche Gestalt und Richtung verschoben hat und damit entfremdet wurde, ist er relativ leicht steuerbar. Dass. Das geschieht, zeigt sich fast überall durch bloßes Hinschauen.

Perpetuum mobile — Ein von Anfang an zerbrochener Mensch wird die Sklaverei gar nicht bemerken, sondern geradezu als eine Erlösung begrüßen — wie auch alles andere, was eine Fortsetzung dessen bedeutet, was er niemals bewusst überwunden hat.

Er-Innerung — Ohne die Bewusstwerdung und vollständige Aufdeckung der unbewussten Mechanismen der Macht und ihrer psychischen „Legitimation“ ist es nicht möglich, die objektive Kälte zu überwinden. Was nach außen projiziert wurde, muss in seinem ganzen Schmerz als innerer Zustand gefühlt und betrauert werden, der damit verbundene Schmerz ist unvermeidbar. Die häufigen Versuche einer ausschließlich rationalen Behandlung psychischer Wahrheiten sind ebenfalls Versuche der Verdrängung. Die. Überdem in der Tatsache, dass sich ein Mensch wie ein fremdes Objekt zu betrachten sucht, das verheerende Ausmaß der Entfremdung zeigt.

Bilder auf den Kopf stellen

Sie sagte gestern eher beiläufig zu mir: „Wenn ich ein Bild falsch herum aufhänge, kann ich mir kaum vorstellen, wie es richtig herum aussieht. Manchmal bin ich richtig erschrocken, wenn ich es richtig herum sehe, weil es völlig anders aussieht, als ich gedacht hätte.“

Da ich mir das nur schwierig vorstellen konnte, habe ich einmal ein bisschen mit einer Bildbearbeitung herumgespielt, um Bilder mit leichten Änderungen um 180 Grad zu drehen. Als Ergebnis meiner kleinen Studien kann ich nur sagen: Sie hat recht. Wenn ein Bild „auf dem Kopf steht“, ist es für unsere Wahrnehmung schwierig, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie dieses Bild „richtig herum“ aussieht. Selbst groteske Bearbeitungen des Bildes werden durch diese einfache Manipulation fast unsichtbar. Das gilt besonders stark dann, wenn es sich um ein Bild vertrauter Strukturen wie etwa dem Gesicht auf einem Portraitfoto handelt. Hier scheint die Wahrnehmung eines Menschen so zu sein, dass auch grobe lokale Fehler an Hand der Erwartung korrigiert werden, wenn der Seheindruck nicht ganz offen dieser Erwartung widerspricht — und dafür genügt schon die einfache Bearbeitung einer Bilddrehung um 180 Grad.

Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, kann sich ja selbst überzeugen. Von den folgenden beiden Bildern unserer gegenwärtigen Kanzlerin Angela Merkel ist eines von mir bearbeitet worden. (Die Bearbeitung ist noch nicht einmal technisch gut ausgeführt.) Aber so lange diese beiden Bilder auf dem Kopf stehen, scheinen sie gar nicht so sehr verschieden zu sein, obwohl sich noch recht leicht erkennen lässt, welches der beiden Bilder bearbeitet wurde:

Zwei Bilder von Bundeskanzlerin Angela Merkel, eines ist bearbeitet und eines nicht

Ich würde jedem empfehlen, einmal auf das Bild zu klicken, um es richtig herum zu sehen. Ich schätze, dass die meisten Menschen die Fratze des bearbeiteten Bildes erschreckend finden werden, auch wenn das bearbeitete Bild auf dem Kopf stehend sicher erkannt werden konnte.

So wenig kann sich ein Mensch auf seine Wahrnehmung verlassen, wenn diese in einer nur etwas unangemessenen Weise bedient wird. Allein das sollte etwas skeptischer machen — denn unsere Sinne werden zurzeit jeden Tag mit sehr unnatürlichen Eindrücken überflutet, die sich kaum adäquat beurteilen lassen. So manches, was auf den flüchtigen Blick durchaus stimmig erscheint, mag sich in eine groteske Fratze verwandeln, wenn man es richtig herum betrachtet.

Quelle des Bildes: bundesregierung.de — und wer glaubt, dass ich hier in erster Linie Angela Merkel verunglimpfen wollte, hat den Text nicht gelesen. Ich brauchte nur ein Bild einer allgemein bekannten Persönlichkeit, um den Effekt zu demonstrieren.

Der Wähler

Erst macht sich der Wähler zum Stimmvieh. Er gibt seine Stimme ab, um hernach zu den Zuständen zu schweigen. Nach der Wahl ist er  ein Stummvieh.

Vergangene Zukunft

Er sagte: „Die Zukunft war gestern.“

Die Uhren

Sie fragte mich zum zweiten Mal nach der Uhrzeit, und ich machte zum zweiten Male die gleiche Geste, indem ich lächelnd auf die leere Stelle an meinem linken Handgelenk zeigte. Sie wurde sauer. Auf mich. Weil sie meinte, dass ich doch wenigstens schätzen können sollte, wie spät es sei. Und. Sie ließ weder durch meine Anmerkung besänftigen, dass die gesellschaftliche Konvention der Zeitmessung für mein Leben keine besondere Bedeutung habe, noch durch die Randbemerkung, dass sie doch selbst auch die Uhrzeit abschätzen könnte.

Ich war bei ihr. Zu. Hause.

Die Uhrzeit stellten wir fest, indem wir ein Radio einschalteten. Leider blieb es an, nachdem die Uhrzeit durchgegeben wurde. Mir fiel jedoch auf, dass in der Küche zwei Uhren waren, die zwar im Betrieb waren und durch ihr lautes Ticken darauf hinwiesen, die aber erstens zwei verschiedene und zweitens zwei falsche Zeiten anzeigten. Das trieb mich zu der kleinen Eigenmächtigkeit, die beiden Uhren einfach zu stellen, und zum Glück fand sie das Radioprogramm eine gute Stunde später unerträglich genug, dass sie diese Lärmbelästigung abstellte.

Und. Dann. Geschah etwas. Seltsames.

Die beiden Uhren taten genau das gleiche, was sie vorher auch taten. Sie verwandelten die chemisch erzeugte elektrische Spannung in einen mechanischen Ablauf, der unter gleichmäßigem Ticken das Fortschreiten der Zeit auf einem Ziffernblatt sichtbar machte, aber nun zeigten sie dabei auch noch die richtige Zeit an. Und sie fand die Lautstärke dieses Tickens, die sich objektiv nicht verändert hatte, auf einmal unerträglich und sehr störend, wollte sogar die Batterien aus den Uhren rausnehmen, damit dieses Geräusch aufhört. Durch ein Bewusstsein der Tatsache, dass diese Geräte nun die „richtige“ Zeit anzeigen, gewann das physikalisch unveränderte Ticken eine neue sinnliche Qualität, es wurde psychologisch und damit wirklich lauter. Was da als Krach plötzlich in die wahr-genommenen Sinne drang, was das Lärmen der mechanisch gemessenen Zeit, die seit der Industrialisierung als etwas gilt, dem sich alles Seiende unterzuordnen hat. Gleich. Wie groß der dadurch verursachte Schaden im Leben ist. Was sie dort subjektiv als Lärm empfand, war das objektive Stampfen der entmenschten Maschinerie, in der die Menschen der Jetztzeit ihr Dasein fristen müssen.

»Menschenmaterial«

Die größeren (und auch immer mehr kleinere) Betriebe haben ja schon lange keine Personalabteilung mehr, das Wort klingt viel zu „persönlich“ und damit nach einer Angelegenheit, die etwas mit Personen zu tun hat. Stattdessen wird das „recruting“ (nicht mein Wort, sondern wirtschaftlicher Neusprech) von der Abteilung für „human resources“ (nicht mein Wort, sondern wirtschaftlicher Neusprech) durchgeführt. Oder. Um diesen viele unfühlbar technokratie-englisch formulierten Neusprech mal in das deutliche Deutsch zu übertragen, wird die „Rekrutierung“ von einer Abteilung für „Menschenmaterial“ durchgeführt.

Wo man so spricht, da denkt man auch nicht anders. Dies zeigt gerade Nokia recht deutlich in der objektiven Unverschämtheit eines Angebotes:

NOKIA will den Bochumern den Vorschlag machen, nach Rumänien zu ziehen und dort zu arbeiten.

Solche „Vorschläge“ sind von Schlägen nicht zu unterscheiden. Genau wie die Schlag-Worte, die schon vor diesen aktuellen Vor-Schlägen benutzt wurden, um den Prozess der wirtschaftlichen Propaganda und gesellschaftlichen Gehirnwäsche mit den schon bei Joseph Goebbels bewährten Methoden voranzutreiben.

Kamera mit automatischem Auslöser

Die modernen Kameras machen das Fotografieren ja immer einfacher, und so manches Mal habe ich angesichts der vielen Automatiken für alles mögliche (und der Umständlichkeit, diese abzuschalten, wenn man sie einmal nicht braucht) die Frage in den Raum geworfen, wann es wohl endlich die erste Kamera mit automatischem Auslöser gäbe.

Nun, der gesellschaftliche und technische „Fortschritt“ eilt der Satire mit fliegenden Füßen hinterher und liefert nach kurzer Zeit alles, was die Satire einst profezeite. Auch die Kamera mit automatischem Auslöser ist längst Realität geworden:

Die Kamera löst die DSC-T200 ab und ist wie auch die Vorgängerin mit einer Gesichtserkennung ausgerüstet, die über einen Lächeldetektor verfügt. Ausgelöst wird erst, wenn die ausgewählte Person lächelt.

Immer nur lächeln, immer nur lächeln… egal, wie wenig einem danach zu Mute ist. Ohne Lächeln kein Foto. Dieses Objektiv sorgt für eine ganz besonders objektive Abbildung der Wirklichkeit. :mrgreen:

Hartmut Lühr in der Telepolis zum Thema des bewussten Nichtwählens:

[…] Politikern ihre menschlichen Schwächen vorzuhalten, ist kleinkariert. Sie sind nicht besser oder schlechter als der Durchschnittsbürger. Wenn Sie oder ich Parteipolitiker wären und nicht abgewählt werden wollten, dann würden auch wir hin und wieder wissentlich lügen. Das ist der Tribut, den wir unserer altmodischen Spielform der repräsentativen Demokratie zollen müssen. Daher sollten wir sie endlich ins 21. Jahrhundert holen.

Ach so, ein Link fehlt noch zu solchem Zitat: Wahlabsage

Die folgenden Worte von Angela Merkel, festgehalten im law blog

Was technisch an Überwachung möglich ist, das muss der Staat auch umsetzen. Und darauf sind wir auch noch stolz.

…machen schon ziemlich deutlich, was die Herkunft dieses lichtscheuen Gesindels im Kanzleramte ist: Die FDJ, der sie (sicherlich auch nicht so ganz ohne „Stolz“) jahrelang im Resort „Agitation und Propaganda“ gedient hat, bevor sie sich wand und wendete, um dann ein paar Jährchen später aus dem fetten Schatten eines Helmut Kohl herauszutreten und zusammen mit einigen Komplizen eine ganz neue, deutsche „demokratische“ Republik aufzubauen.

Und unterdessen stürzt sich zur allgemeinen Ablenkung von den wirklichen Verhältnissen die agenturmäßig gleich geschaltete deutsche Boulevardpresse (das sind beinahe alle BRD-Blätter von Bild bis FAZ) wie eine Horde Geier darauf, dass ein deutlich depperter DJ Tomekk in einer drittklassigen RTL-Produktion den rechten Arm zum „deutschen Gruße“ erhob. Eine gut gesteuerte Empörung aus den Massenstanzen der Content-Industrie, damit sich jeder Leser mal so richtig als aufgeklärter Demokrat fühlen kann. Während. Die totalitäre „Mitte“ nicht einmal mehr im Verborgenen agieren muss, um die Menschen in Deutschland immer mehr wie Feinde zu behandeln und unter eine Kontrolle zu bringen, der niemand mehr entgehen kann.

Verliebtsein

Verliebtsein (das) — akute, unwillkürliche biochemische Reaktion eines Menschen auf die Begegnung mit einem anderen Menschen, in der Regel mit starker emotionaler und intellektueller Retardierung sowie diversen Sinnestäuschungen verbunden. Vorstufe der Geisteskrankheit Roman-Tick. Das V. verläuft stets unglücklich; entweder im Unglück seines Scheiterns oder im noch größerem Unglück der daraus entstehenden Beziehung.

Unser täglich Gammelfleisch

Er sagte (etwas aufgebracht): „Stinkende, gammelnde Schweineköpfe verkaufen die uns als Essen. Denen ist doch alles egal geworden. Wenn sich das Geschäft lohnt, denn werden die uns sogar noch vergiften.“

Und er hat recht. So lange alles, was auf den Tisch kommt, einfach nur ohne Frage gefressen wird, so lange wird die begonnene Entwicklung voran schreiten. Und. Dies. Nicht nur in der Lebensmittel-Industrie.

Irrationale Marktware

Kaum etwa anderes könnte ein so deutliches Schlaglicht auf die an- und vorgebliche „Rationalität“ des gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozesses werfen, wie die Tatsache, dass dieser Prozess mit Leichtigkeit irrationale Produkte für die um ihre Glücksmöglichkeiten betrogenen Opfer des Prozesses hervorbringt, so bald diese eine Chance am Markte haben. Je weniger die Bewertung und Ausbeutung allen menschen Tuns unter dem gebieterischen Imperativ des Marktes dazu geeignet ist, allen Menschen, wo doch nicht Würde, da immer noch wenigstens eine gewisse Sicherheit ihres Lebens zu gewähren, desto mehr zeigen sich in den Kleinanzeigen billiger Presseprodukte Angebote wie die folgenden:

Wie geht es in Ihrem Leben weiter? In persönlichen Gesprächen beantworten unsere erfahrenen Berater detailliert Ihre Fragen zu allen Bereichen des Lebens. Täglich von 8 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts. Karten. Nummerologie. Astrologie. Pendel.

Was wird Ihnen die Zukunft bringen? Täglich von 8 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts. Lassen Sie sich in einfühlsamen und vertrauensvollen Gesprächen zu den Themen Liebe, Beruf und Geld von erfahrenen Esoterikern in eine positive Zukunft führen.

Wer vorschnell meint, dass dies nur alter Schwindel in neuem Gewande sei, übersieht etwas. Als in der Vergangenheit das fahrende Volk und die niedergelassene Hellseherin auf Klientel wartete, bildete sich durch die Situation der Inanspruchnahme auch ein geschützter, aus dem bedrückenden Alltag heraus genommener sozialer Raum, der bei aller Wirkungslosigkeit der massen-magischen Praktiken zumindest noch eine therapeutische Funktion erfüllen konnte (aber keineswegs musste), indem er das Bewusstsein des Ratsuchenden außerhalb des alltäglichen Seins stellte, das dem Bewusstsein so ein enges Gefängnis wurde, dass solcher Rat erforderlich schien.

Diese Möglichkeit ist durch das neue setting nicht mehr gegeben. Die mediale Darreichung der Kommunikation als abstrakte „telefonische Dienstleistung“ drückt dem Mitgeteilten seinen Stempel auf, wie jedes verwendete Medium den wirksamen Inhalt der Kommunikation verwandelt. Der faule Zauber kommt dem ratsuchenden Menschen als ein Callcenter entgegen, jedes Sprechen findet unter dem Diktat einer mechanischen Minutenpeitsche statt, die wachsende Kosten verursacht, es ist von einer dem Bewusstsein feinden Hast geprägt. Und. Vermeidet durch dieses Gepräge unter dem imperativen time is money alles, was hinter der irrationalen Darbietung menschlich heilsam sein könnte. Die „erfahrenen Berater“ und „Esoteriker“ sind angehalten, das Gespräch in die Länge zu ziehen, denn das ist die Grundlage eines Geschäftes, das mit der gewöhnlichen Kälte des Geldfetischs durchgeführt wird. So etwas mit dem alten Schwindel der fahrenden und niedergelassenen Hellseher zu vergleichen, ist, als vergliche man den körperlich befriedigenden Besuch eines Bordelles mit den heutigentags ebenfalls modernen „Angeboten“, zum kostenpflichtigen Gestöhne materiell veramter Frauen aus dem Telefon masturbatorisch tätig zu werden.

Quelle der Scans: rtv Nr. 3, 2008.