Nach seinem Besuch beim Mitmenschen Spießer notierte der Vorübergehende: „Die Wohnung war für den Anschein schön und hell, aber der Rest des Lebens wohnte wohl schon seit Jahrzehnten in einer dämmrigen Ruine aus Angewohnheiten und Angstabwehr“.
Archive for Juli, 2021
„In der englischsprachigen Welt haben die Werber es schon längst geschafft, das Erdgas heißt dort normalsprachlich natural gas, genau so in der französischsprachigen Welt, wo vom gaz naturel die Rede ist“, sagte der Vorübergehende zu seiner Gefährtin im dunklen kapitalistischen Lügenwald aus Reklame, „aber ich finde, das geht noch nicht weit genug. Wenn man nur ein bisschen Geduld hat, bilden sich doch Erdgas, Erdöl und Kohle wieder von allein und ganz natürlich aus dem atmosphärischem Kohlendioxid. Von daher warte ich noch auf den ersten Werber, der von Erdgas, Erdöl und Kohle als natürlichen regenerativen Energiequellen spricht, begleitet von Bildern des synthetischen Photoshop-Paradieses aus blauem Himmel, grünen Bäumen und süßen Tieren, plakatiert an jeder stinkenden Straße“.
Immer, wenn ich wieder zaghaft anfange, daran zu glauben, dass die Intelligenz der Menschen doch eine Chance für die Menschheit sein könnte, rufe ich im Wiki von Psiram die Kategorie „Beutelschneiderei“ auf und lese dort ein bisschen — mir dabei stets bewusst machend, dass es sich bei alledem um Angebote für erwachsene Menschen aus einem Staat mit Schulpflicht handelt und dass die meisten dieser Menschen ein ganzes Internet zur Verfügung haben, wenn es ihnen einmal nach Wissen und Einsicht dürstete. Es dauert nur Minuten, bis der frech grünende Optimismus wieder welk geworden ist.
Keine kulturzersetzende Kraft wird von gebildeten Menschen so sehr unterschätzt wie die Dummheit und das primitiv-psychische, magische Denken; und keine kulturzersetzende Kraft hält sich selbst für dermaßen schlau.
Es ist gar nicht so einfach, die Menschheit zu überreden, in ihr eigenes Überleben einzuwilligen, wenn doch die meisten ihrer Individuen so viel Wichtigeres kennen.
Was nützt uns die schönste „künstliche Intelligenz“, wenn wir keine natürliche Intelligenz mehr haben?
Die gefährlichsten und mörderischsten Menschen auf dieser Welt sind die Menschen, die fest und unverrückbar davon überzeugt sind, dass sie den Willen Gottes tun. Sie werden unmittelbar von denen gefolgt, die zwar keine tief verwurzelte Religion haben, aber dafür einer Ideologie, in der sie ebenso fest und unverrückbar davon überzeugt sind, dass die das Gute, Gerechte und Nötige tun. Die Empathielosigkeit, der moralisch verbrämte Hass und die Verachtung sind so tief in beiden drin, dass es im ersten Moment schwer fällt, sie zu unterscheiden. Religion und Ideologie sind aus dem gleichen psychischen Stoff gewebt, und sie sind genau das gleiche Gift.
Als sein Zeitgenosse sich vom Vorübergehenden verabschiedete und seiner Wege ging, da wusste der Vorübergehende, dass dieser Zeitgenosse in diesem Moment damit beginnt, sein Gedächtnis umzuschreiben, bis ihm das Erinnerte gut gefällt.
Wer ohnehin die wie eine Steuer aufs Wohnen erhobene Rundfunkabgabe erhält, ganz gleich, was gesendet wird, der braucht sich auch bei der Verhöhnung seiner Zuschauer und ihrer Intelligenz nicht in falscher Höflichkeit zurückzuhalten.
Wenn eine Fernsehreporterin von RTL von einem mit dem Handy filmenden Anwohner dabei erwischt wird, wie sie sich kurz vor ihrem erschütternden Bericht aus den Hochwassergebieten vor einem Trümmerhaufen mit etwas Schlamm schminkt, um anschließend zusammen mit ihrer durchaus gut gespielten Emotionalität den Eindruck aktiver Teilhabe und Hilfe vor Ort zu erwecken, gibt es daran nur eines, was schlimm ist: Die dabei sichtbar werdende, banale Selbstverständlichkeit, mit der diese vorsätzliche Fake-News-Produktion, dieser obszöne Betroffenheitsporno, vom dabei anwesenden RTL-Kamerateam hingenommen wurde.
Da ist niemand eingeschritten und hat gesagt, dass das so nicht ginge, dass das kein Journalismus und keine Nachrichtenpräsentation, sondern Show und emotional-psychische Manipulation sei, und zwar auf dem Rücken von Menschen, die gerade in einer fürchterlichen Katastrophe alles verloren haben, wofür sie gelebt und gebuckelt haben. Alle Beteiligten wirkten überaus entspannt. Alles war Routine. Einer schaute noch auf sein Handy. Es lief alles wie geplant, wie abgesprochen, wie üblich. Und es ist auch nicht für mich oder auch selbst nicht für Susanna Ohlen schlimm, sondern nur für RTL, denn es legt die eingeschliffenen, vermutlich in der gesamten mentalen Käfighaltung des Senders alltäglichen Machenschaften offen, mit denen die bewegten und bewegenden Bilder generiert werden, um die Zuschauer auch über den folgenden Werbeblock hinweg bei der Stange zu halten; den Werbeblock, der das Geschäft und damit das eigentliche Programm dieser Sendeanstalt ist.
Im erlogenen, aber sichtbaren Dreck, den diese „Reporterin“ als Herzschablone und Engagementkitsch auf sich verteilt, um ihrem folgendem Geschwall flugs etwas mehr „Authentizität“ zu verleihen, spiegelt sich der wahrhaftige und wahnhaftige, wenn auch meist unsichtbare Dreck der gesamten Contentindustrie: Der Arbeitsdreck der journalistischen Produktion. Die Frage, warum es so leicht möglich ist, dass erwachsene, wahlberechtigte Menschen in einer beeindruckend großen Breite so genannte Fake News mit den „qualitätsjournalistisch“ übermittelten Nachrichten verwechseln, beantwortet sich nach einem kurzen Blick auf diesen Spiegel: Da ist kein Unterschied mehr, bestenfalls noch ein gewohnheitsmäßiger Glaube an altbewährte Marken. Dieser zumindest, dieser konnte bei RTL nicht weiter beschädigt werden.
Claas Relotius ist überall. Und er sagt dir und mir und uns aus diesem Überall: Nach meinen Nachrichtungen sollst du dich richten und andere richten. Das ist der gegenwärtige Journalismus, der offene Feind derer, die ihn doch finanzieren sollen.
Grüße an Andreas.
Je schlechter es einem erheblichen Anteil der Menschen geht, desto mehr plump-erheiternde Unterhaltung läuft in der Glotze.
„In den deutschen Städten sind es nicht nur Schaufenster, Glasflächen und Spiegel“, sagte der Vorübergehende zu seinem Zeitgenossen, „in denen sich die Autos spiegeln, sondern es ist stets die ganze Stadt“.