Archive for März, 2019


Tagesschau vom 27. März 1999

Tweet von @TagesschauVor20, der Tagesschau vor zwanzig Jahren: [27.3.99] Bau des Großflughafens Berlin-Schönefeld steht nichts mehr im Wege: Bund & Länder einigen sich auf Verteilung der Erschließungskosten. 2007 soll der Flughafen in Betrieb gehen und die innerstädtischen Airports Tegel und Tempelhof ersetzen.

Alte, weiße Männer

Der Vorübergehende sagte zu seiner Zeitgenossin: „Diese Menschen, die offen von ‚alten weißen Männern‘ reden, wenn sie etwas als schlecht und schädlich bezeichnen wollen; die das Schlechte und Schädliche an sich also ursächlich auf Lebensalter, Hautfarbe und genetisches Geschlecht von Menschen zurückführen; sie wären allein von ihrem gedankenvermeidenden, stammtischhaften Kategoriensystem zur Einordnung von Menschen her noch vor wenigen Jahrzehnten wohl begeisterte Mitkämpfer*innen gegen das Finanzjudentum geworden. Unfassbar und ekelhaft ist es, was sich heute widerspruchslos als ‚links‘ bezeichnen darf“.

Lug- und Trugtuch

„Nein, ich habe keine Krawatte“, sagte der Vorübergehende zu seinem Zeitgenossen. „Eine Krawatte ist ein Tuch, das man sich umbindet, um andere Menschen zu belügen und zu betrügen, und ich brauche so etwas nicht“.

Sonderangebot!

Alles wird immer teurer, nur die Ausreden werden billiger und billiger.

Pinguin

„Du bist gar nicht so dumm und unwissend“, sagte der Vorübergehende zu seinem von Selbstzweifeln zerfressenen Zeitgenossen. „Immer, wenn du dich für dumm und unwissend hältst, solltest du dich daran erinnern, dass es erwachsene, gebildete und lebenserfahrene Menschen auf der Erde gibt, die jedes Medium und damit jedes Wissen zur Verfügung haben, das in der gegenwärtigen Zivilisation bereitsteht, und die trotzdem allen Ernstes daran glauben, dass ein Pinguinpaar den ganzen Weg von der Antarktis bis in den Nahen Osten gewandert ist, damit es in die Arche Noah kommt“.

Artikel 13

Seit das Internet auch für Menschen ohne besondere technische Fähigkeiten zugänglich und in der Folge ein ganz normaler Teil ihres Alltags geworden ist, bemüht sich die Classe politique atemlos darum, das einzige partizipative Massenmedium des Technikzeitalters zu zerstören, zu kriminalisieren, zu zensieren oder doch zumindest so stark zu beschädigen, dass es möglichst wenig Wirkung entfalten kann — von Ursula „Stoppschild“ von der Leyen bis Axel „Uploadfilter“ Voss zieht sich eine klare und deutliche Linie in die gleiche, unerfreuliche Richtung. Während die angebliche Politikverdrossenheit des Volkes mal bedauert und mal als große Gefahr für die Demokratie an die Wand gemalt wird, hat die real existierende Volksverdrossenheit der Politiker jedes erträgliche Maß überschritten und ist dabei leider nicht abwählbar. Das, was die Menschen stattdessen entschlossen und durchaus wirksam „abwählen“, weil sie wenigstens dazu die Möglichkeit haben, ist ein contentindustrieller Journalismus, der sich offen und unter Herbeiziehung jeder nur denkbaren Propaganda- und Manipulationstechnik in den Dienst dieser politischen Herzensangelegenheit gestellt hat und stellt.

Das einzig Erfreuliche ist, dass am heutigen Tag ganz viele junge Menschen mit frisch erwachtem politischen Bewusstsein und noch vielen Jahrzehnten Wahlberechtigung vor sich gelernt haben, was sie von der Politik der etablierten Parteienapparate und vom contentindustriellen Journalismus zu erwarten haben, während die tendenziell viel älteren Gleichgültigen im Austerben begriffen sind. Sicherlich, bis zu einer spürbaren gesellschaftlichen Wirkung dieses Anstoßes braucht es mindestens ein Jahrzehnt, und ich bin mir keineswegs sicher, ob ich in zehn Jahren noch leben werde, aber ich habe heute den Anfang vom Ende der bestehenden BRD-Parteienoligarchie und ihrer hoffnungslos volksverdrossenen, zutiefst grundgesetzlichfeindlichen und klar antidemokratischen Strukturen erlebt. Schade, dass es nicht nur für mich, sondern auch für Deutschland und seine Nachbarstaaten viel zu spät sein wird.

Skepsis

„Ein Skeptiker“, sagte der Vorübergehende zum Esoteriker, „ist einfach nur ein Mensch, der alles für möglich hält, statt sein Deutungsschema und Vorurteil an jede Erfahrung und jedes Geschehnis anzulegen und das Ergebnis dieser Messung für unzweifelhaft ‚wahr‘ zu halten. Niemand ist so offen wie ein ernsthafter Skeptiker“.

„Aktivismus“

Politiker und Journalisten sprechen und schreiben vom „Aktivismus“, wenn es nicht opportun ist, direkt „Haltet eure Fresse“ zu sagen oder zu schreiben.

Architektur

Ein Verwaltungsgebäude in Hannover (Waterlooplatz, frühere Bezirksregierung)

Gefragt, warum er so selten Menschen und so häufig Gebäude fotografiere, sagte der Vorübergehende: „Die Menschen gehen vorüber, und es sei ihr Recht, Vorübergehende zu sein, ohne dass man sie in ihren Vorübergehen auf Bildern festhält. Die Architektur hingegen, sie wird von Herrschenden und Besitzenden klotzmächtig in den öffentlichen Blickraum gestellt, transportiert die kalten, gierigen, faschistischen und menschenverachtenden Ideen ihrer Bauherren und ist vorsätzlich dafür gemacht, auf Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dem Raum für das menschliche Miteinander einen Stempel aufzudrücken, unter dessen Last sich noch jeder gebückt hat. Gern nehme ich diese Architektur auf, um sie gegen die Abstumpfung durch den immer wieder gleichen Sinnesreiz als das zu zeigen, was sie ist, damit sie auch möglichst oft als das gesehen werde, was sie ist“.

Daumendrücken

„Ich drücke ihnen die Daumen“, sagte der Folterknecht.

Vom Wahrheit-Sagen

Wer den Menschen beibringen möchte, die Wahrheit zu sagen, muss ihnen „nur“ beibringen, die Wahrheit überhaupt hören und wissen zu wollen. Das eigene Aussprechen und der Verzicht auf das dann entbehrlich gewordene Lügen kommt wie von allein.

Die mundsolidarischen Klimaheuchler

Es ist schon faszinierend, wie schnell außerordentlich viele Erwachsene bereit dazu sind, sich mit dem zurzeit noch leicht und relativ risikolos zu öffnenden Mund mit demonstrierenden und schulstreikenden Kindern zu solidarisieren, wie vollständig nichtvorhanden aber andererseits ihre Bereitschaft ist, einfach selbst als klare Geste der Unterstützung und Zustimmung am Freitag die Arbeit niederzulegen und solidarisch mitzudemonstrieren. Einer der wichtigsten Gründe für dieses zutiefst selbstwidersprüchliche Verhalten dürfte es sein, dass Schulen ihren Schülern keine existenzbedrohende Kündigung aussprechen können, ganz im Gegensatz zu jenen, die den abhängig Beschäftigten im Hartz-Fear-Staat BRD ein Gehalt auszahlen. In dieser Kombination aus offenem Begrüßen des gleichermaßen recht wirkungs- und risikolosen „Widerstandes“ jener Menschen, die ihre Zukunft noch vor sich haben und dem ängstlichen Vermeiden jeder eigenen, möglicherweise etwas wirksameren Unterstützung spiegelt sich die ängstliche und ergebene Gleichgültigkeit dieser mit dem Mundwerk so engagierten Erwachsenen, die übrigens keine Spur weniger lächerlich und kinderverachtend wirkt, wenn sie ihren Kindern auch noch beim Malen hübscher Demoschilder helfen und sie mit dem Auto zur Klimademo fahren. Und weil dort auf den Demonstrationen die professionell-wohlaufgenommenen Fotos und Filmchen demonstrierender Kinder so niedlich sind, ist der Journalist mit aller seiner publizistischen Kraft beim niederträchtigen und vernunftwidrigen Heucheln dabei, es ist ja clickträchtiger Content und gut für die Vermarktung von Reklameplätzen, dem eigentlichen Geschäft des stinkenden Mitmenschen von Journalisten. Alle diese Leute hätten vor ein paar hundert Jahren auch Ablasszettel gekauft, um sich von ihrer eigenen, selbst empfundenen Verantwortung freizukaufen — und gleichermaßen bang wie ungebremst weitergemacht. Jedes Mal, wenn Kinder politisch instrumentalisiert werden, wird es scheußlich, dumm und kalt.