Der Fühlende und Denkende nimmt den so genannten „Kreationimus“ ernst, statt ihn nur plump zu verspotten und sich mit der daraus erhüpften Befriedigung zu begnügen. Diese extremistisch fundamentalistische Haltung mit ihrer teuer und aufwändig gepflegten Scheinwissenschaft und ihrem großen gesellschaftlichen Sendungsbewusstsein ist nicht anders als andere moderne Formen der Irrationalität und auch keinen Deut weniger gefährlich. Der Fühlende und Denkende weiß genau, wie groß die Bequemlichkeit vieler Hirnträger ist; und er weiß auch, dass der Weg zum Glauben mühelos und leicht zu beschreiten ist, während der Weg zum Wissen steinig und voller Anstrengung ist. Deshalb sinds auch so viele, die gemeinsam und im fröhlichen Sang den allzu einfachen Weg zum unreflektierten Glauben beschreiten, während die Wandelnden auf dem Weg des Wissens recht einsam und oft mit ungewissem Ziel die Mühsal überwinden müssen. (vergl. Mt. 7, 13-14)
Der Fühlende und Denkende fragt nach dem Gottesbild, dass sich in dieser allzu leicht zum Glauben bereiten und damit etwas leichtgläubigen Form der fundamentalistischen Religion spiegelt. Er erwartet vom Kreationisten keine befriedigende Antwort, ja, er erwartet nicht einmal, dass die Frage verstanden wird; er fragt für sich selbst in jener Selbstverantwortung, die er für sein mühsames und verletzliches Leben erwählt hat und die ihm deutlich über jene verantwortungslose, alles zu wissen glaubende und damit unverletzliche Haltung hinaus hebt, die von unverschämter Bescheidenheit und unangemessener Infantilität ist. Die wohl gebahnten Sackgassen für Gegner vermeidet er, so gut es geht.
So fragt er angstfrei und in aller Ruhe, fern des affektierten Gezänks medialer Propaganda: Nehmen wir einmal an, es gäbe einen allmächtigen Gott, der diese ganze Schöpfung von sechs Jahrtausenden mit seinem kraftvollen Arm und seinem wirkmächtigen Wort hervorgebracht hätte, so wie es der Fundamentalist glaubt. Es wäre für diesen Gott ja keine Schwierigkeit, der ganzen Schöpfung die Spuren von Jahrmilliarden aufzuprägen, eben so leicht könnte er Spuren einer in Wirklichkeit niemals statt gefundenen Evolution auf dem ganzen Planeten Erde verteilen, so dass wir Menschen alles so vorfinden, wie wir es eben vorfinden. Die Gründe dafür bleiben den Menschen freilich verschlossen, sind Gottes Gedanken doch nicht unsere Gedanken. (vergl. Jes. 55,8)
Und nehmen wir fernerhin an, auch die grundsätzliche Befähigung der Menschen zum denkenden Verstehen wäre ein Teil der Schöpfung Gottes, vielleicht sogar das göttlichste an ihm, der doch zum Bilde Gottes geschaffen sein soll. (vergl. 1. Ms. 1,27)
Denn hätte Gott folglich in aller Hinterhältigkeit die Schöpfung so beschaffen, dass die Menschen Gott verfehlen müssten. Die gesamte Schöpfung ist — nach dem Glauben jener Fundamentalisten, die sich „Kreationisten“ nennen — von Gott als eine große Falle für die Menschen aufgebaut, damit diese Gott verfehlen. Nur, wer mit allen Mitteln seinen Verstand tötet — was haben die gleichen Fundamentalisten eigentlich gegen Drogen? — ist imstande, in einer wörtlich verstandenen Textüberlieferung Gott zu erkennen; wer hingegen bewusst und verantwortungsvoll so lebt, wie Gott ihn geschaffen hat, soll zum ewig leidenden Holzscheit für das höllische Feuer werden?
Gott stellt sich in diesem Bild der Fundamentalisten als ein mächtiger und gewalttätiger Feind der Menschen dar. Der Angstcharakter der christlichen Religion wird in diesem — zurzeit sehr erfolgreichen — Auswuchs wie in einem Zerrspiegel vergrößert und damit deutlich gemacht; ebenso deutlich wird die unheilige Grundhaltung der Identifikation mit dem Gewalttäter, die schon so viel verantwortungslos ausgeübte Gewalt in das Leben der Menschen hineingetragen hat.
Der Denkende und Fühlende glaubt aber nicht einen Moment lang, dass es sich um eine Aussage über Gott handelt. Er glaubt viel mehr, dass es eine Mitteilung des psychischen Zustandes derer ist, die so glauben — und deshalb wird er ihnen gegenüber auch sehr vorsichtig. Er versteht auf diesen Hintergrund die anderen Widersprüche fundamentalistischer Christen besser; etwa die Tatsache, dass man eben so deutlich gegen jede Abtreibung ist, wie man mit großer Selbstverständlichkeit für die Durchführung der barbarischen Todesstrafe ist. Er nimmt auch wahr, dass die großen christlichen „Kirchen“ keine klar und laut vernehmbare Stellung gegen den Kreationismus beziehen, sondern sich im Opportunismus obsoleter Organisationen auch dieses Türchen für eine eventuelle spätere Wiedererlangung gesellschaftlicher Macht offen halten — und deshalb weiß er auch, was er von diesen Vereinen zu halten hat.
„Weh euch, ihr Vertreter des religiösen Etablissments. Ihr Heuchler! Ihr verschließt das Himmelreich vor den Menschen. Ihr selbst geht nicht hinein, und die hinein wollen, die lasst ihr nicht hinein gehen“ (nach Jesus aus Nazaret, siehe Mt. 23,13)