Archive for April, 2010


Entschlüsselung

Zu den dummen und irrationalen Redensarten in der Journaille gehört die Meldung, dass Forscher wieder einmal das Erbgut eines Lebewesens „entschlüsselt“ hätten, wenn es den Forschern gelungen ist, die DNA zu sequenzieren und die Gene auf den DNA-Strängen zu lokalisieren. Das Wort „Entschlüsselung“ suggeriert ein Maß des Verständnisses, das nicht vorhanden ist und erst noch erarbeitet werden muss; die Sequenzierung der DNA und die Lokalisierung der Gene ist nur ein erster, wichtiger Schritt hierzu — und auch ohne diese irreführende Anpreisung aus der abgeschriebenen Presseerklärung eine große Errungenschaft des forschenden (und zuweilen forschen) Willens.

Mai kommt

Blüte einer Kastanie

Unaufhaltsam kommt der warme, lichte Mai und lässt den dauernden Frost vergessen.

Niedliche Psychopathen

Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen.

Jesus aus Nazaret zugeschrieben, Mk 10,13

Kinder stehen in einem viel zu gutem Ansehen, was wohl auch von der religiös geprägten Anschauung der „Unschuld“ der Kinder herrührt. In Wirklichkeit ist jeder gesunde Achtjährige ein Psychopath, und wenn die Mischung aus Realitätsferne, Selbstbezüglichkeit, wirren Gedankengebäuden und ungebremster Bereitschaft zur Durchsetzung eines eigenen Willens harmlos und niedlich wirkt, denn liegt es nur daran, dass sie sich nicht mit dem voll entwickelten Körper eines Erwachsenen verbindet. Tatsächlich ist die gesellschaftliche Hochschätzung der Kindheit ein Spiegelbild der individuellen Verdrängung einer überwundenen Phase psychischer Unangemessenheit.

Ein Wahnsinniger erscheint in diesem Spiegel wie ein Kind mit dem Körper und den Möglichkeiten eines Erwachsenen. Wo immer Erwachsene dazu aufgefordert werden, dass sie wie die Kinder werden sollen, werden sie in Wirklichkeit aufgefordert, irre zu werden.

Politikverständnis

Unter Politik verstehen manche Leute die Kunst, Brände zu löschen, die sie selbst gelegt haben.

Lawrence George Durrell

Größe

Groß ist der, dessen Denken in kleinen Verhältnissen nicht kleingeistig wird.

Geschichtsbuch

Geschichtsbuch (das) — Gesammelte Unfallberichte der menschlichen Zivilisation aus der Sicht der Unfallverursacher.

Die Expandierenden

Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.

1 Ms 1,28

Es könnte durchaus sein, dass Stephen Hawking mit seiner Auffassung, dass die Menschheit wegen der damit verbundenen Gefahren besser nicht mit potenziellen Außerirdischen kommunizieren sollte völlig recht hat, auch wenn diese Äußerung zunächst ein wenig irrational und beinahe paranoid klingt. Es ist uns ja nur ein einziges Beispiel einer „intelligenten“ Lebensform bekannt, die zu einer solchen Kommunikation imstande wäre und derartige Bestrebungen auch verfolgt, nämlich das Beispiel der Menschen. Mangels besserer Daten ist es also angemessen, zu sagen, dass jegliche Schlüsse aus der Geschichte der Menschheit auf eventuelle intelligente Zivilisationen außerirdischer Herkunft in zwar dürren, aber doch bekannten Fakten begründet sind, während jede Annahme, dass es sich bei den Außerirdischen um Wesen handele, deren Streben und Leben völlig anderen Prinzipien folgt, als reine Spekulation zu betrachten ist. Diese Spekulation von moralisch höher stehenden Außerirdischen — ein durchaus beliebtes Thema in der irrationalen UFO-Folklore der Gegenwart — weist zu viel Ähnlichkeit mit den früheren Gottesvorstellungen auf, als dass man in ihr nicht eine modernere Verkleidung des gleichen psychischen Materiales erkennen könnte.

Am bekannten Beispiel des Menschen lässt sich wenigstens eine Hypothese festmachen und mit der gesamten Geschichte belegen: Wann immer Menschen nach einem „neuen Land“ und „unbekannten Welten“ suchten, war mit diesem Streben ein Drang nach Expansion verbunden; ein Drang, der damit einherging, anderen Raum einzunehmen und die dort eventuell etablierten Zivilisationen zu vernichten, zu versklaven oder als meist unterprivilegiertes „Menschenmaterial“ in den Produktionszyklus der Zivilisation einzubetten. Die Geschichte des menschlichen Forschungsdranges ist eine Geschichte des Völkermordes und der Sklaverei, und es ist ein erheblicher kultureller Fortschritt, wenn sich mittlerweile viel des forschenden Strebens auf das Verständnis und die Nutzbarmachung naturgegebener Prinzipien ausrichtet, dass sich also das Prinzip der Ausbeutung von der Gewalt der Unterjochung zu einem friedlicheren Versuch wandelt. Wie zerbrechlich dieser Wandel ist, zeigt ein kurzer Blick auf die Zustände des gegenwärtigen Zeitalters der Verbrennung, in dem Kriege um die knapp werdenen Brennstoffe mit der beim Forschen entstandenen Technik geführt werden. Eine außerirdische Zivilisation, mit der Menschen in eine Kommunikation treten, müsste bereits selbst den Willen zur Kommunikation mitbringen und mindestens aktiv lauschen, und diese Ressourcen fordernde Aktivität könnte bereits ein Zeichen eines Dranges zur Expansion sein. Ob eine intelligente Zivilisation, die sich in ihrem Lebensraum bescheidet und ihre Probleme auf friedlicheren Wege beizulegen pflegt, überhaupt eine derartige Anstrengung unternehmen würde, ist fraglich.

Fingerphone

Etliche Menschen, und gar nicht nur die jüngsten, verhalten sich mit ihrem Handy ungefähr so wie ein Elfjähriger, der gerade erst die vollen Freuden der Masturbation entdeckt hat. Sie können gar nicht mehr die Finger davon lassen.

Auswärtiges Denken

Als Noah endlich gelandet ist, baut er Wein an. Er betrinkt sich und liegt dann entblößt im Zelt. In diesem Zustand findet ihn einer seiner drei Söhne — und erzählte es den anderen, die ihn dann zudecken. Und jetzt kommt das Wichtige: Als Noah aufwacht und erfährt, was dieser Sohn ihm „angetan“ hat, wird er zum Sklaven erklärt — und nicht nur er, sondern auch alle seine Nachkommen. Das ist genau das, was der Papst jetzt mit den Missbrauchsopfern auch macht: Betrunken und entblößt hat sich Noah. Aber der, der ihn dabei gesehen hat und es weitererzählt, wird bestraft. Das ist noch immer so! Täter-Opfer-Umkehrung. Da kann man doch nicht sagen, das sei ein tolles Buch, aus dem man einen Verhaltenskodex ableiten solle.

Renée Schröder, zitiert nach Astrodicticum simplex

(V)Erklärung

Wichtiger als eine — inzwischen nicht mehr so übliche — Kriegserklärung gegenüber einem anderen Staat ist der classe politique die Kriegsverklärung für die meist minder kriegs-, leidens- und sterbewilligen Menschen im eigenen Staat.

Desperado

Hagen Rether | YouTube-Direktlink

Jingle

Wenn die Radiosender alle zehn Minuten ein jingle mit ihrer Senderkennung abspielen, ganz so, als würden sie annehmen, dass ein Großteil ihrer Zuhörer unter Alzheimer litte, denn spiegelt sich darin nicht nur wider, was sie von der mentalen Leistungsfähigkeit ihrer Zuhörer halten, sondern auch, dass das Gedudel der „verschiedenen“ Sender so verschieden gar nicht ist.