Grenzwissenschaft (Asubstantiv, die) — Als G. werden Bestrebungen bezeichnet, die sich am Rande der Wissenschaft befinden. Zwischen Wissenschaftlern sowie denkenden Menschen und so genannten Grenzwissenschaftlern besteht allerdings eine gewisse und bei näherer Betrachtung recht leicht verständliche Uneinigkeit darüber, auf welcher Seite des Randes sich eine G. befindet. Bereiche, die als G. betrachtet werden, zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Anhänger gern eine wissenschaftlich klingende Sprache und einen wirrseligen Wust von eigens ersonnenen Fachausdrücken verwenden, um in solcher sprachlicher Mimikry den Mangel an gesicherter Erkenntnis, das Fehlen jeglicher Vorhersagekraft, das weit gehende Scheitern von Vorhersageversuchen und den zum Ausgleich vorhandenen Reichtum an bullshit zu verbergen, wie es sich leicht bei Betrachtung der so genannten „Ufologie“, der so genannten „Alternativmedizin“ oder in den so genannten „Wirtschaftswissenschaften“ zeigt. Dieser armselige Trick funktioniert dermaßen gut, dass wenigstens die Anhänger eine G. regelmäßig darauf hereinfallen und aus ihren nur dürftig von gesicherten Fakten gestützten Postulaten weit reichende gesellschaftliche Forderungen ableiten, deren Nichterfüllung gern als Folge großer Verschwörungen (beliebte Hinwegerklärung in der „Ufologie“) oder eine Auswirkung des Kommunismus (beliebte Hinwegerklärung in der „Wirtschaftswissenschaft“) betrachtet wird — letzteres selbst noch innerhalb von Gesellschaften, in denen Kommunisten und Anhänger verwandter politischer Ideologien bedrängt, kriminalisiert und verfolgt werden. Wache Menschen erklären sich das Wort von der Grenzwissenschaft so, dass in diesen Bestrebungen vor allem die Grenze zum Irrsinn berührt und zuweilen auch überschritten wird.
Archive for Februar, 2010
Der Versandhauskatalog, den sie so gelangweilt durchblätterte, er war völlig folgerichtig aufgebaut. Am Anfang nahm die gewöhnliche Alltagsbekleidung für Frauen einen breiten Raum ein, hell und bunt. Sie wurde gefolgt von einigen Seiten roten und schwarzen Hautgesanges einer Reizwäsche, die nach dem Vorbild der Menschenschaufenster in den Bordellen entworfen ist. Darauf folgte der Teil mit den Männern; darauf folgten die Betten und die Bettwäsche; darauf folgten die Möbel, Einbauküchen und die technischen Geräte. Ein ganzes Leben, das der Frau vorgezeichnet ist. Spiegelte sich im bunten Katalog, der für diese Frau gedruckt ist. Und alles darin. Wird als billig angepriesen.
Was soll das heißen, „olympische Winterspiele“? Liegt denn gerade so viel Schnee auf dem Olymp?
Wenn jedes führende Mitglied einer Kirche mit persönlichem Versagen so umginge, wie es Frau Käßmann getan hat, denn wären viele meiner Texte über die christliche Religion mit weniger Galle gewürzt. Zumindest von der röm.-kath. Kirchenfront hört man leider regelmäßig ganz andere Töne.
Als der Nachtwächter mithören musste, wie die so genannten Olympischen Winterspiele im Fernsehen präsentiert werden — man kann zwar mit Leichtigkeit wegschauen, aber doch niemals weghören — fragte er nur: Wer ist dieser Sportler namens ‚Deutschland‘, von dem die da ständig sprechen? Ist das nicht ein seltsamer Name für einen Menschen?
Das werbende Getue vom „Billig“, das von Technikramschern wie „MediaMarkt“ oder „Saturn Hansa“ als ausgesprochen grelle und nervtötende Reklame mit dummer und dreister Ansprache der „Zielgruppe“ auf beinahe jeden denkbaren Kanal transportiert wird, relativiert sich allein schon dadurch, dass man darüber nachdenkt, wie teuer diese Reklame sein muss.
Und der Nachtwächter sagte: Es ist mir ja gleichgültig, welche Religion ein Mensch hat oder nicht hat. Aber wenn jemand zu mir ein warmes Wort spricht oder mir gegenüber eine gute Tat tut, weil er in sich fühlt und einsieht, dass genau dieses Tun jetzt richtig ist und nach diesem Fühlen und dieser Einsicht handelt, denn löst das in mir ein wesentlich sympathischeres Gefühl aus als die Tat eines Menschen, der mit seinem Tun vor allem seinem Gott gefallen will und aus diesem Grund das tut, was sein Gott nach den Maßgaben seiner Religion von ihm getan sehen will. Tatsächlich lässt mich das Tun vieler sehr religiöser Menschen — und ich begegne vielen von ihnen, jeden Tag, und sie haben viele Geschmacksrichtungen von Religion in ihrem frommen Mund — selbst dann, wenn es ein Wohltun ist, frösteln. Auch, wenn viele religiöse Menschen das scheinbar niemals bemerken: Religion ist kein hinreichender Ersatz für Menschlichkeit.
Kaum etwas macht so deutlich, wie gleichgültig unter den Maßgaben des gegenwärtig laufenden gesellschaftlichen Prozesses das Wohlergehen der Menschen ist, wie die Tatsache, dass in diesem kalten und langen Winter in vielen Städten die Fuß- und Radwege, auf denen sich die Menschen bewegen sollten und oft auch mussten, nicht geräumt wurden.
Dass unter den Maßgaben des laufenden gesellschaftlichen Prozesses das Wohlergehen der Menschen völlig gleichgültig geworden ist. Wird sehr deutlich an den Fußwegen, auf denen sich die Menschen doch bewegen sollen und oft auch müssen, und die in diesem langen und kalten Winter selbst in den großen Städten nicht geräumt wurden, sondern als gefährliche Rutschbahnen belassen wurden. Die — zumindest in Hannover — teilweise zentimeterdicken Eispanzer auf den Fußwegen, die gebrechlicheren Menschen über einen Monat lang jeden Schritt nach draußen erschwert oder gar verwehrt haben und die auch für weniger eingeschränkte Menschen einen Angriff auf alle 210 Knochen ihres Körpers darstellten; diese Eispanzer sind ein treffliches Abbild der seelischen Kälte, die hier alles beherrscht und jede Seele verpanzern. Und. Die leider nicht schon durch steigende Temperaturen und einsetzendes Tauwetter beendet wird.
Das Verb „vergessen“ ist ein recht interessantes Verb. In seinem Klang schwebt die Vorstellung des „Essens“ mit, es ist ähnlich wie „gegessen“ gebildet, nur eben mit der Vorsilbe „ver-„, die so typisch für Verben ist, die beschreiben, wie Dinge durch eine eher unbewusste Tat in eine scheinbar unerwünschte Richtung gehen oder an ein nicht vorgesehenes Ziel gelangen, etwa bei „verlaufen“, „verlegen“, „versprechen“, „verschreiben“, „verhören“, „verlieren“. Diese Nähe der Bezeichung einer Gedächtnisleistung zur Verdauung zeigt eine archaisch-analoge Betrachtungsweise, in welcher die Inhalte des gedanklichen Apparates aufgenommen und vergleichbar zur aufgenommen Speise in die denkende Person aufgenommen werden, während die unverdaulichen und giftigen Teile des gedanklichen Materiales von diesem abgespalten und wieder ausgeschieden werden. Das Vergessene hat — in dieser Betrachtung — einen anderen Weg durch den gedanklichen Apparat zurückgelegt, es ist nicht mehr nutzbar und auch nicht mehr verdaulich, eben „vergessen“. Auf diesem sprachlichen Hintergrund verwundert es gar nicht, dass die Dinge, die besonders leicht vergessen werden, nicht dazu geeignet sind, in die Gedankenwelt des „vergesslichen“ Menschen aufgenommen zu werden und Teile an seine Persönlichkeit abzugeben, dass sie letztlich Fremdkörper in seiner Person sind, die keinen lebenspraktischen intellektuellen Nährwert für diese Person haben. Kurz. Dass sie — in derber Umgangssprache ausgedrückt — schon vor ihrer „geistigen Verdauung“ Scheiße sind. In dem, was die Menschen vergessen, spiegelt sich wider, was die Menschen bedrückt, und in der Ausblendung des Vergessens wird die Möglichkeit negiert, dieses Bedrückende zu verändern. Wer sein bedrücktes Leben verändern will, muss mit gedanklicher Tätigkeit gegen die Bequemlichkeit des Vergessens angehen.
π ≈ 3,141 592 653 589 793 238 462 643 383 279 502 884 197 169 399 375 105 820 974 944 592 307 816 406 286 208 998 628 034 825 342 117 067 …
Am 18. Januar des Jahres 1897 wurde dem Repräsentantenhaus des US-Bundesstaates Indiana ein Gesetzentwurf vorgelegt, und diese Vorlage wurde ohne Gegenstimme angenommen. Inhaltlich ging dieses Gesetz auf die Arbeiten von Edward Johnston Goodwin zurück, aus denen sich ein exakter und verblüffend einfacher Wert für die mathematische Konstante π ergeben sollte — Johnston selbst meinte hierzu, dass er das exakte Maß des Kreises auf übernatürliche Weise erfahren habe. Obwohl Johnstons verschiedene Arbeiten keineswegs auf den gleichen Wert für π kamen, sollten sie zur Grundlage einer gesetzlichen Festlegung der Konstante gemacht werden. Die bisher gebrauchten Werte für π wurden in der Gesetzesvorlage als völlig fehlerhaft und in praktischen Anwendungen irreführend bezeichnet, an ihre Stelle trat die im Alltag recht handliche Festlegung π = 3,2, die ja auch schönen, glatten Ergebnissen beim Rechnen führt. Auf die naheliegende Idee, dass mathematische Wahrheiten nicht durch einen Gesetzgebungsvorgang geschaffen würden, scheint kein Beteiligter gekommen zu sein.
Dass dieses Gesetz niemals in Kraft trat, ist der Tatsache gedankt, dass zufällig ein Mathematikprofessor als Gast an der Sitzung teilnahm und nach der Verabschiedung im Repräsentantenhaus die Parlamentarier im Senat aufklärte. (In Indiana müssen beide Kammern des Parlamentes, das Repräsentantenhaus und der Senat, einem Gesetze zustimmen.) Nach seiner Aufklärungsarbeit wurde die weitere Beratung der Vorlage am 12. Februar 1897 im Senat auf unbestimmte Zeit vertagt, und in diesem Zustand ist das Gesetz bis heute.
An diese Geschichte von der faktenschaffenden Dummheit eines parlamentarischen Betriebes sollte sich jeder Denkende jedes Mal erinnern, wenn angesichts der Anzahl der offenen Arbeitsstellen und der viel größeren Anzahl der Menschen ohne Arbeit irgendwelche weltfremden Angehörigen der classe politique — nur geringfügig durch das Propagandawort von den „Anreizen“ — verklausuliert davon sprechen, dass die Arbeitslosigkeit ihre Ursache in den Menschen ohne Arbeit hat und dass diese Menschen deshalb nur stark genug zu eigenen Bemühungen gedrängt werden müssten, damit sich das Problem der Arbeitslosigkeit von allein erledige. Denn auch die Wahrheit, dass den [Stand: Januar 2010] 4.758.953 „offiziellen“ Arbeitslosen, die mindestens um die 1.543.888 Menschen in meist sinnfreien und unter Teilnahmezwang stehenden Maßnahmen zum Bewerbungstraining und optimierten Selbstverkauf zu ergänzen wären, lediglich [Stand: Februar 2010] 942.000 offene Stellen gegenüber stehen, ändert sich nicht schon dadurch, dass Parlamentarier vom „Fordern und Fördern“ faseln und ansonsten auf den Weihnachtsmann zu hoffen scheinen, der den Menschen in der BRD ganz viel Arbeit bescheren soll, ganz so, als sei Arbeit ein seliges Geschenk und nicht eine Last und als sei die Übernahme vieler leidiger Tätigkeiten durch Maschinen etwas anderes als ein glückvoller Segen. Der beständig von den Fakten abgewandte Blick deutscher Parlamentarier und ihre Zuwendung zu zwar handlichen, aber offenkundig absurden Theorien des „Arbeitsmarktes“ als Grundlage für gesetzliche Regelungen ist keinen Deut weniger dumm als der Versuch, die mathematische Konstante π durch ein Gesetz auf den Wert 3,2 festlegen zu wollen.
Ich bin ein Sklave dessen, der meinem Körper einen Namen gab
Und meiner unflätigen Seele eine Form;
Ich bin ein Sklave des Geldes, das meine Hände verbrennt
Und des Profits und der Ermattung;
Des Todesatems, der meinen Rücken verbiegt
Und des Spermas, das auf meinem Körper pulsiert,
Der Klinge, das die heranwachsende Frucht schneiden wird
Und der Klinge, die meine Kehle und meine Brust schneiden wird.
Du musst mich missbrauchen,
Denn ich hätte so sein können
Und ich war niemals dazu imstande.
Du musst mein Geschlecht missbrauchen
Und deinen Henkersknoten
Um meinen weißen Hals festziehen.
Ich bin ein Sklave der Mutter aller Schweine
Und des Vaters aller meiner Unterdrückungen;
Des Willens, der mein ganzes Bedauern ausradiert
Und meiner Kindheit und meiner versteckten Ängste;
Ich bin ein Sklave des Lichts, das meiner Schwäche ein Gesicht gibt
Und meiner hingefallenen Herrschaft
Ich bin ein Sklave des Salzes und des Windes
Der meine Fülle und meine Lepra verbrennen wird.
Du musst mich missbrauchen,
Denn ich hätte so sein können
Und ich war niemals dazu imstande.
Du musst mein Geschlecht missbrauchen
Und deinen Henkersknoten
Um meinen weißen Hals festziehen.
Spiritual Front: Slave | YouTube-Direktlink
Eine Gesellschaft von Schafen muss mit der Zeit eine Regierung von Wölfen hervorbringen.
Bertrand de Jouvenel
Entpolitisierung — Viele Menschen sind nicht mehr politisch links oder politisch rechts, sie sind nach ein paar Jahrzehnten „Politik der Mitte“ längst untendurch.
Architektur — Zu den Aufgaben der Architektur gehört neben der Befriedigung einer Reihe von technischen und formellen Ansprüchen die Gestaltung des öffentlichen, allen Menschen gemeinsamen Raumes. Dieser Raum ist es, in dem die Menschen leben müssen und den sie als ihren Lebensraum empfinden. Oft empfinden müssen, da vielfach keine wirkliche Wahl besteht. Der Trend vor allem der zeitgenössischen Architektur zur glatten Kälte in Stahl und Glas, das Zustellen des öffentlichen Blickraumes mit Wänden aus Stahl und Glas, deren „Ästhetik“ schon dadurch zerstört würde, dass ein Mensch ein Fenster öffnete, er ist ein Spiegelbild der Tatsache, dass vielen Menschen längst der Raum zum Leben abhanden gekommen ist — darüber können auch die lieblos hingestreuten und gegen solche Verwendung recht wehrlosen Sträucher und Bäumchen nicht trösten.
Verb-Raucher — Es wäre für den größeren Teil der Menschen schon viel gewonnen, wenn sich die Menschen nicht mehr mit einem substantivierten Verb als „Verbraucher“, sondern als Menschen betrachten würden.
Herrchen — Gegenüber seinem Haustier ist jeder Mensch ein allmächtiger Herrscher. Das ist auch der Grund, warum Haustiere so beliebt sind, sie verschaffen entspannende Ablenkung vor der sonstigen Ohnmacht.
Essenz der Rhetorik — In den meisten Fällen werden nicht viele Worte benötigt, um die Wahrheit auszudrücken; es reicht ein kurzer Ausdruck der bekannten Tatsachen. Viele Worte mit geringer Aussagedichte braucht der Lügner.
57 Prozent — Die Kunst der Statistik besteht darin, dass im ermittelten Durchschnitt das „ich“ des Geldgebers der Untersuchung spricht.
Träger — Das blendvolle Gefasel von den „Leistungsträgern“ würde sehr schnell verstummen, wenn auch nur einen Monat lang alle Menschen, die wirklich etwas tragen damit aufhörten, dieses Blendwerk mitzutragen.