Ob diese Menschen, denen das Wort „Gutmenschen“ so gut als Beschimpfung anderer Menschen über die Lippen kommt, wohl auch nur eine Spur Bewusstsein davon haben, was es bedeutet, wenn sie so sprechend etwas fundamental anderes als jene sein wollen, eben das Gegenteil von „Gutmenschen“? Und ob sie sich wohl, wenn dieses Bewusstsein einmal heiter angehaucht kommt, auch danach fragen, wie sich dieses Gegenteil eines „Gutmenschen“ naheliegend und zwanglos in ein deutsches Wort kleiden ließe, diese Schlechtmenschen…
Archive for November, 2011
Der Vorübergehende fragte seinen aufgeregten und immer über die eigenen Wörter stolpernden Zeitgenossen nur eines: Warum es immer zu großen und wirksamen Protesten komme, wenn Atommüll von Le Hague nach Gorleben gebracht wird, warum aber auf der anderen Seite nichts von einem nennenswerten Widerstand zu hören war, als der radioaktive Abfall genau so sicher durch Deutschland und später Frankreich zur Aufbereitung nach Le Hague gefahren wurde. Und er ergänzte: Es ist schon seltsam, in welch bunten, unerwarteten Larven sich noch der erddümmste Nationalismus verhüllen kann.
Jedes Mal, wenn ein Mitglied der deutschen classe politique in diesem noch im Angesicht des Widerstandes herrischen Tonfall davon spricht, dass in einer Sache „ungenügend kommuniziert“ wurde, meint es damit, dass zu schlecht und zu durchschaubar gelogen wurde.
Der Zeitgenosse hielt dem Vorübergehenden eine Pappe¹ hin und fragte: Willst du mit mir auf die Reise gehen? Und der Vorübergehende. Antwortete: Nein, aber willst du vielleicht mit mir ankommen?
¹LSD
Nicht alles wird schon dadurch modern, dass sich im Laufe der Zeit die technischen Möglichkeiten erweitern. Der alte Droschkenunternehmer macht in gewisser Weise immer noch in Droschken und sitzt Tag und Nacht in seinem Taxi; die schlesischen Weber sind inzwischen zu chinesischen Webern an recht ausgefeilten Maschinen geworden, aber kein bisschen satter, gerechter entlohnt oder mit bessserer Aussicht; der Hufschmied wechselt inzwischen flugs angelernt, billig und um die Ecke die Reifen der Autos. Die alten Herrschaftsstrukturen schaffen es mit Leichtigkeit, sich auch unter neuer Technik zu erhalten. Nichts spricht dafür, dass der technische Fortschritt des Internet nicht ebenso in alte Herrschaft gemünzt werden kann; nichts, außer einer jungen Partei mit Hang zum Orange. Was auch. Keinen Mut machen kann, weil die Geschichtsvergessenheit und die Meidung analytischen Betrachtens bei vielen Menschen in dieser Partei besonders ausgeprägt sind. Wer aus bloßer Fortschritts- und Technikverliebtheit schon zu glauben geneigt ist, dass der heutige Taxifahrer doch schon wegen besserer Technik besser dran wäre als der frühere Droschkenelendsselbstständige, der wird sich auch mit Digitaltechnik zufrieden geben, die hübsch aussieht und ein taktiles Bedürfnis befriedigt, aber dabei undurchschaubar bleibt und ihre Nutzer über allerlei künstliche Restriktionen entmündigt, versklavt und ausbeutet. Es passt schon auf eine skurille Weise, dass man auf Fotos von Veranstaltungen der Piratenpartei so auffallend viele Geräte ausmachen kann, auf die ein angebissener Apfel gestempelt wurde: ein Symbol, dass in einer noch gar nicht so lange zurückliegenden Zeit und Gesellschaft den Menschen als Begründung dafür gegeben wurde, dass sie aus dem Paradiese vertrieben worden sind, während sich die fettgefressenen Herrschenden, denen solche Verkündigung in Wirklichkeit diente, ein wahrlich paradiesisches Leben auf Kosten der verdummten Massen erlauben konnten.
Kaum etwas könnte den Zerfall jedes gesellschaftlichen Wertes deutlicher dokumentieren als die Ambitionen eines überführten wissenschaftlichen Betrügers wie des Herrn von Guttenberg, ein schnelles come back in die Politik der Bundesrepublik zu erreichen. Außer vielleicht. Die beim Lesen fühlbare Begeisterung, mit der sich die Journaille auf dieses Thema stürzt, ganz so, als gäbe es im Zeitalter von rassistisch motivierten Serienmorden, einer mit Schadsoftware jenseits des geltenden Rechts agierenden Polizei und einer unfassbar beschleunigten Umverteilung aller Güter zu Banken und Spekulanten kein wirkliches Thema, so dass man die Seiten zwischen der Reklame mit diesem adligen Hochstapler füllen muss. Dieser wird auch nicht interessanter, wenn er im Hintergrund jemanden anders ein Buch über das Lieblingsthema jedes Egomanen mit Realitätsverlust schreiben lässt: Über sich selbst. Ganz im Gegenteil, das ist sehr vertraut…
Wer in Situationen offenbarer Ungerechtigkeit einen so genannten „neutralen“ Standpunkt einnimmt, hat sich auf die Seite des oder der Unterdrücker gestellt. „Emotionsfreiheit“ ist keine „Objektivität“, sondern eine Verweigerung des Fühlens.
Und die ganze Werbung in der Vorweihnachtszeit, bestempelt mit synthetischen Paradiesbildern, für die eigentlich schon die Kinder zu alt sind; sie will in roter, güldner und grüner Farbe sagen: Kauf weiter, es ist alles in Ordnung!
Ein Tablet-PC ist ideal für die kommende Generation, vor allem in der Kombination mit Twitter und den zugehörigen Apps. Endlich kann man seinen Hintern so richtig bequem in den bequemen Lieblingssessel quetschen, während man so richtig politisch aktiv und ein Netzaktivist ist.
„Was meinst du jetzt mit Bildungstreik“, fragte der Vorübergehende seine Begleiterin, die allen Ernstes zu glauben schien, dass ein derartiges Wort noch eine Bedeutung jenseits der Realsatire haben könnte. „Ein Bildungstreik“, sagte der Vorübergehende, „geht doch ganz bequem und mühelos. Schau dir nur die RTL-Zuschauer in ihren Sesseln an. Das ‚N‘ in ‚RTL‘ steht übrigens für Niveau“.
„Selbstmord“ aus meinem alten Album „Tote Vögel Haben Spaß“ — remastert und mit Bildern der architektonischen Version eines unerträglichen Zustandes unterlegt: Mit Bildern vom Ihme-Zentrum in Hannover-Linden…