In den kranken Augen eines Werbers gibt es für einen Heißluftballon nur eine zu diesem Konzept passende Anwendung: Dass auch der sommerliche Himmel noch mit Werbung gepflastert werde. Und in der Tat, das passt. Dass der Ballon nur mit künstlich heiß gemachter Luft entgegen der Gravitation zum Himmel empor befördert wird, ist ein zu trefflicher Spiegel dessen, was ein Werber tut, wenn er mit sehr künstlichem Rhetorik-Dampf versucht, Absatzzahlen nach oben zu bewegen.
Archive for August, 2009
Wenn man annimmt, dass jeder Mensch, dessen aufwändig inszeniertes Begräbnis auch, wenn ein ganzer Ozean zwischen der BR Deutschland und dieser Funeral-Show liegt, live im deutschen Fernsehen übertragen wird; dass jeder so geehrte Mensch ein Arschl ein weniger unentbehrlicher Zeitgenosse war, dann liegt man nur selten falsch.
Er sprach: Herr, es sind viele um den Brunnen, aber keiner ist in dem Brunnen.
Jesus aus Nazaret zugeschrieben, Thomas-Evangelium, Logion 74
Religion ist der Versuch, ein nicht existierendes Problem zu behandeln, ein Problem (meist mit „Gott“), dass ohne die zum Leben hinzugefügte Haltung der Religion gar nicht vorhanden wäre. Aus dieser Kreiskrümmung der Aufmerksamkeit, wie sie bei allen wirklich religiösen Menschen anzutreffen ist, mag sich auch das scheinbare Desinteresse gegenüber den wirklichen Problemen — seien sie persönlicher oder gesellschaftlicher Natur — erklären. Es handelt sich nicht um Desinteresse, sondern selbst gewählte psychische Blindheit, die wegen der mit ihr verbundenen Tröstlichkeit und Bequemlichkeit nur ungern wieder aufgegeben wird. Das Maß an Dummheit, das erforderlich ist, sich in einem solchen Kreis so umfänglich fesseln zu lassen, es mag erklären, warum sich so viel Dummheit in weitaus monströserem Maße dort findet, wo Religion institutionaisiert praktiziert wird.
Die Bewohner der Venus besaßen eine hochentwickelte Kultur; aber alle die vorzüglichen Konstrukteure und Baumeister unter ihnen hatten sich und ihr ungeheures Können in den Dienst der Vernichtung gestellt. Eine solche Gemeinschaft von Lebewesen musste sich früher oder später gegen sich selbst kehren.
aus „Die Astronauten“ von Stanisław Lem
Landschaftsschmutz — Vor dem Bereich ein grünes, dreieckiges, mit der Spitze nach unten weisendes Schild mit dem Piktogramm einer Eule, das diesen Bereich als ein „Landschaftsschutzgebiet“ ausweist. Inmitten der Gruppe von Weiden ein Weiher, ganz bedeckt mit grünen, schleimigen Schlieren, teilweise schon braun werdend. Durchbrochen diese schmiere Schicht zuweilen nur vom Blubbern überriechender Blasen, die aus dem gärenden Schlamm aufsteigen. Fische. Schwimmen teilweise skelettiert auf dem Rücken. Die Luft schwanger vom Gestank. Nicht einmal die Krähen wollen hier ein leichtes Essen aus dem Wasser erpicken. Daneben, nur durch einen Streifen Weidenholz getrennt, der überdüngte Acker, dem. Dieses Sterben mit seinen bei der Bewässerung ausgespülten Nährstoffen gedankt ist. Auf dem Acker töfft die Maschine vor sich hin, bringt mit brennendem Diesel die Ernte ein. Es ist eine gute Ernte. Wie viel Prozent von dieser Ernte wohl unter den Bedingungen der gegenwärtigen EU-Agrarpolitik vernichtet wird, um die künstlichen Preise eines künstlichen Marktes auf dem politisch gewünschten Niveau zu halten?
Wegzehrung — Nichts erfreut im spätsommerlichen Vorübergehen so sehr, wie die vielen, nun brach liegenden Flächen, die einst kleine, von Menschen genutzte Gärten waren. Während die dummgläubigen Mitmenschen ihr konsumistisches Mantra „Man kriegt doch nichts geschenkt“ im Hirne und im Herzen tragen und sich mit solchem Credo hinter der Glotze und dem Versandhauskatalog verschanzen, hängen längst vergessene Bäumchen voll von köstlichen Äpfeln, Zwetschgen und Mirabellen. Nicht einmal in Griffhöhe sind sie abgepflückt, und die Würmer und Wespen lassen mehr als genug für den Vorübergehenden übrig. Und. Am Boden fault das vor sich hin, was niemand mehr isst, weil es nicht käuflich, preislos und damit in der verqueren Logik der Jetztzeit „minderwertig“ ist. Nur die unvermeidlichen Bauchschmerzen trüben die satte Freude eines solchen Tages.
Himmelsdreck — Wie beeindruckt die Bewohner der großen Städte doch immer sind, wenn sie in einer klaren, dunstfreien Nacht einmal die fünf Handvoll helleren Lichter des gestirnten Himmels erblicken können. Und. Wie wenig sie davon wissen, wie schön der kalte Nachthimmel wirklich aussieht, weil sie es noch nie in ihrem Leben gesehen haben. Das künstliche Licht in den Straßen und den Leuchtreklamen hat längst die Sterne vom Himmel geholt, selbst das Firmament ist beschädigt.
Feuerwerk — Es gibt in Hannover im Jahreslauf derart viele Feuerwerke, dass man dieser Verwandlung von Geld in Knallen, Blitzen und Leuchten schon überdrüssig werden kann. Je dröger das Leben der Menschen ist, desto stärker müssen die Reize dosiert werden, die diese Menschen daran hindern, die Leere ihres eigenen Lebens zu erfühlen.
Achtung Auge! — Die größte psychische Gefahr, die sich mit dem Medium Fernsehen verbindet, ist es, dass die Menschen glauben, die darin dargebotenen Shows seien Wahrheiten, die sie mit eigenem Auge erblickt hätten. Das Spiegelbild der hingeflimmerten 25 schrillen und bunten Bilder ist das objektive Grau, dessen dämmerende Einsicht und gleichzeitige Hinnahme sich in der Redensart vom „grauen Alltag“ Gehör verschafft.
Ich war auf die Minute pünktlich, wie immer, denn ich trage keine Uhr. Und ich klingelte wie verabredet zwei Mal kurz nacheinander. Als nach gut einer Minute der Summer immer noch nicht zu hören war, klingelte ich erneut, ganz wie verabredet. Und. Ohne Erfolg. Sollte ich den Weg vergebens gemacht haben? Niemand schien da zu sein, jedenfalls niemand mit genügend Bewusstsein, um die Türe zu öffnen. Ich beschloss, dem Unterfangen eine weitere Chance zu geben, denn ich weiß ja, dass das Elend die Betroffenen dazu treibt, vor den grellen Tagen mit ihren gewaltsamen Anforderungen in einen den Tag überbrückenden Schlaf zu fliehen und stattdessen in den unbedrängteren Nächten zu leben. So wartete ich weitere fünf Minuten an diesem schönen, sonnigen Nachmittag und versuchte es zum dritten Male. Wiederum. Ohne den gewünschten Erfolg. Dann erst gab ich auf.
Jetzt sitze ich im Schatten unter einem Baum, etwas erschöpft an meinem Platz an der Tonne. Nicht nur mattgebleicht vom Weg, sondern auch von der ungedämpften Seele. Hinter mir dröhnt eine der vielen Schnellstraßen, die diese Stadt mit dem kalten Skalpell der technischen Effizienz durchschneiden, die Luft ist voll Gestank. Vor mir gehen Menschen vorbei, betrachten bemüht unauffällig den seltsamen Menschen mit seiner komischen Frisur, der da auf einer Bank sitzt, auf der sie wegen ihres eingebildeten sozialen Status niemals Platz nehmen würden, und sie wundern sich wohl ein wenig darüber, was er dort schreibt. Und. Dass er überhaupt etwas zu schreiben hat. Wenn ich zu ihnen hinschaue, um diese wandelnen Krämpfe zu sehen, wenden sie ihren Blick schnell und peinlich berührt ab, hinfort vom Schreiber auf der Bank, hin zur grauen, dreckigen Straße, die wohl weniger Furcht als ein lebender Mensch einflößt. Nur ihre Hunde haben diese Scheu nicht, aber dafür ein Würgeband um den Hals und eine zerrende Leine. Ihres Herren. Neben mir in der Mülltonne und um mich herum die stinkenden, ausgetrunkenen Bierflaschen, der Zement der Zustände, ein Festmahl für Wespen und sonstige Aasfresser. Die Stadtamseln, ihr Gefieder wirkt schon zu Lebzeiten ein wenig gerupft, haben neben diesem gärenden Wahn ihre kleine städtische Amselwelt aufgebaut und picken Gewürm und „zivilisatorischen“ Abfall. Und. Ich wundere mich über die unterschiedlichen Gewichte, mit denen Menschen das Gleiche wiegen und erwägen. Eine Verabredung, eine Begegnung, auf die ich mich so gefreut hatte, dass ich in meinem trüben Dasein neben der unvermeidlichen Mülltonne im Lande Überfluss eine ganze Woche lang nur von dieser Freude zehren konnte, kann für jemanden anders sehr viel weniger Bedeutung haben, ja, nur so ein austauschbares, bedeutungsloses Ereignis unter vielen vielen anderen sein. Und während ich das inmitten des Lärms, des Gestankes und der wandelnden Angst in mir bewege, erahne ich. Wieder einmal. Aus welchem psychischen Stoff das Elend wohl gewebt ist, das so viele Menschen eingesponnen hat.
Eines muss man der FDP in diesem Wahlkampf ja lassen, und das muss wirklich auch ein Vorsatz und ein Plan sein: Sie hat ihre überall hingeklebten Plakate derart mies gestaltet, dass es niemandem Spaß machen wird, eine Satire auf diese Plakate — oder wie man neuerdings zu sagen pflegt: einen Remix — anzufertigen. Somit bleibt die FDP, obwohl sich nach dem jüngsten Scheitern der darin vertretenen Ideologie vom „freien“ Wirtschaften als Zielscheibe für den ätzenden Spott geradezu anbietet, davon verschont, dass kreative Richtig-Dichter den platten und offen in den Stil der Bildzeitung abgleitenden Dummschwätz von Brutto, Netto und Mitte in angemessener Weise richtig stellen.
Die gezielte Stümperei der dafür gewiss gut bezahlten Marketingleute im Auftrage der neoliberalen Kampfpartei geht so weit, dass auf dem Plakat mit Rainer Brüderle das „r“ des Schlachtrufes in Gelb auf gelbem Hintergrund aufscheint und kaum noch zu lesen ist. Es mag ja sein, dass „Deutschland es besser kann“, aber wer mag sich den ernsthaft in solche Miserablität hineinziehen lassen…
Der Dummkopf nahm eine Andeutung dieser überheblichen Geste ein, wie sie so gern von Dummköpfen eingenommen wird, wenn sie glauben, jetzt das richtige Wort zur Relativierung jeglicher Kritik zur Rechtfertigung der Fortsetzung ihrer Dummheit gefunden zu haben. Und kurz darauf. Sagte er: „Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten“.
Und. Er hat Unrecht. Denn dort, wo die Dinge aus sich selbst heraus leuchteten, wo sie schlicht Licht wären, da gäbe es gar keinen Schatten.
Steche, schlage, würge hie wer da kann. Bleibst du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmerdar erlangen. Denn du stirbst im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wort und Befehl.
Martin Luther, Wider die stürmenden Bauern
Von den religiös verpackten, aber politisch motivierten Mordreden der mittelalterlichen Päpste, über die religiös verpackten, aber politisch motivierten Mordreden eines Martin Luther, über die parareligiös dargebrachten und mit christlichen Versatzstücken garnierten, aber politisch motivierten Mordreden eines Adolf Hitler und seiner herztoten Schergen bis hin zu den religiös verpackten, aber politisch motivierten Mordreden heutiger Herrscher in vom fundamentalistischen Christentum geprägten Gesellschaften führt ein gerader Weg durch die menschliche Geschichte. Und. Wenn der Vorübergehende mit seinem heiteren Blick diesen ganzen Weg zurückverfolgt, stellt er fest, dass am Anfang dieses Weges nicht dieser Jesus steht, von dem die Anhänger der christlichen Religion so viel frömmelndes Gewese machen.
Die CDU hat sich entschieden, in diesem Jahr zum Bundeswahlkampf zu dokumentieren, wie sehr sie ihre Wähler verachtet, indem sie großflächig tolle Fotos zusammen mit zwar psychologisch wirkmächtigen, aber doch recht leeren Worten plakatieren lässt.
Er sagte zu mir: „Ein Außerirdischer, der unser Fernsehprogramm empfängt und sonst nichts über unsere Kultur weiß, der sich also sein ganzes Bild von unserer Kultur aus dem regulären Programm und aus der Werbung zusammenreimen müsste, müsste doch denken, dass das wichtigste äußere Merkmal des sozialen Status eines Menschen die Haare sind. Alle in relevanter Position sichtbaren Personen, alle Nachrichtensprecher und alle Hauptdarsteller der Filme, Fernsehserien und Werbeclips präsentieren sich stets perfekt und oft aufwändig frisiert.“
Ich konnte ihm zur zustimmen. Und ich verstand. Warum unter diesen Umständen dem Inneren des Kopfes so viel weniger Aufmerksamkeit zuteil wird als dem Äußeren des Kopfes.