Archive for Juni, 2007


Verständnis

Sie sagte es so verständnisvoll, wie ich es von Frauen kaum gewohnt bin: „Ich bin lesbisch. Ich kann wirklich gut verstehen, wie ein Hetero-Mann unter den Frauen leidet.“

An Statistiken glauben

Wer so naiv an Statistiken glaubte, wie es die herrschende Klasse und die Journaille gern hätten, der verhielte sich sonderbar, fast schon irr. Er läse irgendwann einmal in so einem Auswurf der Content-Industrie, dass in Deutschland mehr als 97 Prozent aller Todesfälle im Bett eintreten. Das brächte ihn dann auf die nahe liegende Idee, sein persönliches Sterberisiko zu verringern, indem er nicht mehr zu Bette ginge.

Und in der Tat würde er einen gewissen Effekt seines Handelns erleben. Ein gelegentliches Nickerchen hinterm Steuer schützt sehr wirksam vorm Älterwerden.

Fernsehen

Fernsehen (das) — irreführende Bezeichnung für eine in der Bevölkerung weit verbreitete Kurzsichtigkeit.

Rückgaberecht

Nachdem er den Film gesehen hatte und die DVD aus dem Laufwerk genommen hatte, sagte er nur: „Ich will meine zwei Stunden Leben zurück haben.“

Alles schonmal dagewesen…

Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen.

Publius Cornelius Tacitus (55-120)

Einseitigkeit

Manchmal kritisieren Menschen andere Menschen, weil sie einseitig über die Dinge urteilen. Leider wird zu selten kritisiert, dass Menschen nullseitig über die Dinge urteilen.

Der Polizist

Unbeliebter Zeitgenosse — Im Idealfall seines Berufes erfüllt der Polizist die undankbare Aufgabe, berechtigte Ansprüche der Gemeinschaft gegen den Einzelnen durchzusetzen. Der betroffene Einzelne wird vom Eingreifen des Polizisten in gesellschaftlich gegebene Schranken gewiesen, er erfährt durch den Polizisten eine Einschränkung seines Seinsrechtes. Das ist der Grund, warum ein Polizist niemals wirklich beliebt sein kann; dennoch gereicht dem Polizisten in diesem Idealfall sein Tun nicht zur Unehre. Im Prozess, der gegenwärtig über die Gesellschaften abläuft, hat sich die Aufgabe des Polizisten jedoch gewandelt, er setzt immer weniger berechtigte Ansprüche der Gemeinschaft und immer mehr die besonderen Wünsche einer wohlhabenden, selbstbesessenen und machtsüchtigen Minderheit gegen die Mehrheit der Menschen durch. Das Auftreten des Polizisten spiegelt in dieser Änderung seiner Aufgabe das kalte und gewalttätige Gehabe derer wider, deren Ansprüche er vertritt; und zwar ohne dass der Polizist dabei des Wohlstandes und der anderen Lebensvorzüge dieser Gruppe teilhaftig würde. Er ist in Perversion seiner idealerweise ausgeführten Aufgaben zum willfährigen Schergen derer geworden, die eigentlich im Interesse der Gemeinschaft in ihre Schranken gewiesen werden müssten; was ein an sich ehrenhafter Beruf wäre, verkommt unter diesen Bedingungen zu einer verruchten, wenig erstrebenswerten Tätigkeit. Ein Polizist, der in dieser Lage auch noch menschlich-verständnisvollen Umgang von der von ihm bekämpften Bevölkerung einfordert, dokumentiert damit seine Lebenslügen und seinen Realitätsverlust.

Unnahbarkeit — Dieser voran schreitende Wandel der gesellschaftlichen Rolle des Polizisten zeigt sich in vielen Details seiner Berufsausübung. Früher begegnete einem der Polizist noch häufig auf der Fußstreife. Er ging durch sein Revier, schaute mancherorts nach den Rechten und kümmerte sich direkt und in oft recht menschlicher Weise um das, was ihm an Problemen zu Ohren getragen wurde. Er repräsentierte in seinem Dienst zwar die mögliche Gewalt der Gemeinschaft gegen den Einzelnen, aber er tat dies selbst als Einzelner, als menschliches Gegenüber. Als solcher war er in seiner Funktion während des Dienstes zwar nicht beliebt, aber doch immer noch geachtet und vertraut. Heute ist der Polizist auf Fußstreife ein seltener Anblick geworden; an die Stelle der Fußstreifen ist der langsam durch die Straßen fahrende Streifenwagen getreten. Schon die mechanische Geste des deutlich gekennzeichneten Autos, das zuweilen in eher unkalkulierbarer Weise einfach anhält, damit der Polizist vom Auto aus in autoritärer und unpersönlicher Weise die Forderungen seines Dienstes an die jeweils davon betroffenen Menschen stellt, spiegelt die Veränderung des Berufes wider. In der Menschferne solchen Auftritts zeigt sich die Menschferne derer, deren einseitige, gegen die Gemeinschaft gerichtete Interessen mittlerweile durch die Polizei vertreten werden.

Kopf hinhalten — In einer älteren Werbekampagne der Polizei für die Polizei lautete der Slogan: Wir halten den Kopf hin. Und in der Tat, der Polizist hält seinen Kopf hin für alle unbewältigten gesellschaftlichen Probleme und die politischen Fehler der letzten Jahrzehnte. Das weiß er auch genau, der Polizist, deshalb trägt er in vielen Situationen lieber einen robusten Helm, wenn er wieder einmal seinen Kopf hinhält, um den Hass gegen das zu empfangen, was er in seinem Tun täglich gegen die Menschen vertritt. Schade nur, dass so mancher Polizist nicht zu wissen scheint, dass man den Kopf auch für etwas anderes benutzen könnte.

Die Mitteilung

Zeitgenosse: Es scheint ja gar nicht so unwahrscheinlich zu sein, dass es an anderen Orten im Universum Leben gibt. Und die Menschheit steht vor riesigen, kaum zu bewältigenden Problemen. Wäre es nicht vielleicht eine gute Idee, in das Weltall herauszufunken, um eventuelle andere Zivilisationen um Hilfe zu bitten.

Nachtwächter: Aber Bruder, das tut die Menschheit schon seit vielen Jahrzehnten. Wenn es Zivilisationen in der Nähe gibt, wissen die schon längst über uns Bescheid.

Zeitgenosse: Davon habe ich noch nie etwas gehört. Ist das ein militärisches Geheimprogramm?

Nachtwächter: Oh nein, es geschieht ganz offen. Vor deinen Augen, du kannst es jeden Tag sehen und hören. Jede Rundfunksendung, jedes Fernsehprogramm strahlen wir auch in den Weltraum aus. Um die Erde herum breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit ein Radiokugel aus, ein Signal, das sich für andere technische Zivilisationen leicht als ein Signal technischen Ursprungs erkennen lässt. Eine fortgeschrittene Zivilisation ist gewiss im Stande, dieses Signal angemessen zu deuten. Wenn diese Zivilisation 40 Lichtjahre von uns entfernt ist, denn „sieht“ und „hört“ sie gerade US-„Aufklärungsfilme“ für die Bevölkerung, die zu heiterer Musik empfehlen, dass man bei einem Atomwaffenangriff unter den Tisch kriechen und den Kopf mit einer Aktentasche bedecken soll. Dazu werden Kindersendungen empfangen, in der Hauptsache von Walt Disney, die ein sehr seltsames Bild unserer Gedankenwelt zeichnen. Und in den Nachrichten hört die lauschende Zivilisation aus sicherem Abstand Meldungen des Gegeneinanders zweier Machtblöcke, die beinahe offen mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen. Hin und wieder gibt es aber auch ein religiöses Programm. Eine ganz große Übertragung gibt es zwei Mal im Jahr, wenn ein alter Mann in Rom in einer Sprache spricht, die kein Bewohner der Erde mehr versteht oder verwendet und zu dieser Veranstaltung erklärt wird, dass sich für die Lauschenden damit das Versprechen völliger Vergebung verbindet. Der weltweite Charakter dieser Übertragung wird auch in 40 Lichtjahren Entfernung noch auffallen, da die gleiche Sendung aus vielen, fast zeitgleichen Quellen kommt. Natürlich wird man dort auch hören, betrachten und zu verstehen suchen, was den Lebensformen auf der Erde wichtig ist, und man wird Werbung für Autos, Waschmaschinen, Zigaretten, alkoholische Getränke und Knabbergebäck sehen. Gewiss wird man sich nach dem Sinn dieser Sendungen fragen, aber anfangs wohl kaum verstehen können, worin er liegen könnte.

Zeitgenosse: Das klingt ja hoffnungslos!

Nachtwächter: Es wird aber noch schlimmer. Die fernen Wissenschaftler werden das Programm gewiss über Jahre, bis zum Ende verfolgen, da es Aufschluss über eine mögliche Kulturentwicklung gibt, der ihre Zivilisation glücklicherweise entgangen ist — vielleicht empfinden sie dafür sogar eine Art von Dankbarkeit. Sie werden mit sicherem Abstand die gesamte Entwicklung der Fernsehunterhaltung und die gesamte Geschichte der Massenkultur der Popmusik mitbekommen. Sie werden uns aus ihrer Warte kennenlernen als Wesen, die beim Hören der Musik der Beatles kreischend in Bewusstlosigkeit fallen und sich nach solchen Zuständen sehnen. Sie werden Filme sehen, in denen alle Probleme mit Gewalt und Mord und Faustfeuerwaffen gelöst werden. Sie werden politische Reden hören, und sie werden wichtige politische Ereignisse mitbekommen. Sie werden sich darüber wundern, wieso so schnell nach dem Attentat auf J. F. Kennedy ein Täter gestellt werden konnte, und sie werden Probleme haben, dieses reale Ereignis von gespielten Ereignissen zu unterscheiden. Diese Probleme werden im Laufe der Jahre immer größer, da in den vergangenen 40 Jahren der gesamte wirtschaftliche und politische Betrieb immer monströser wurde. Demnächst sehen sie die Übertragung der Mondlandung, und sie werden zunächst nicht erkennen, dass es sich nicht um eine billige Science-Fiction-Produktion handelt. Vielleicht werden sie es auch niemals erkennen, und vielleicht haben sie sogar mit ihrer Wertung recht. Natürlich werden sie unsere Technik zu interpretieren suchen, und dabei werden sie herausfinden, dass unsere gesamte Technik auf Verbrennungsvorgängen beruht. Auch aus der Ferne werden sie verstehen, dass wir einen aus verrotteten Pflanzen bestehenden schwarzen Schlamm aus der Erde pumpen, nur um ihn zu verbrennen und dass wir das für einen riesigen Fortschritt halten, obwohl wir die damit verbundenen Probleme nicht in den Griff bekommen. Sie werden auch richtig aus unseren Nachrichten deuten, dass wir einander ermorden, um den Zugriff auf den immer knapper werdenden schwarzen Schlamm zu sichern. Sie werden irgendwann bei den Attentaten auf das World Trade Center angelangt sein, und bestimmt werden sie erst glauben, es handele sich um gute special effects. Aber sie werden schnell erkennen, wie diese Bilder politisch instrumentalisiert werden, da sie bis dahin eine Ahnung von der psychischen Struktur des Menschen bekommen haben — schließlich haben sie ja auch den Papst, die Beatles und Billy Graham mitbekommen und aus sicherem Abstand zu deuten gehabt. Es ist ihnen sofort klar, dass das nichts Gutes bedeutet, und sie werden damit recht haben. Irgendwann werden sie nur noch darauf warten, dass die Sendung aufhört, dass ein letzter elektromagnischer Impuls oder die langsame Vernichtung der Lebensgrundlagen dieses reizvolle Experiment einer fernen Natur beendet. Wenn sie spielen, werden sie vielleicht sogar Wetten auf den Zeitpunkt abschließen. Im wissenschaftlichen Abschlussbericht stehen wohl die Worte: Sie haben alles verbrannt und sich untereinander umgebracht.

Zeitgenosse: Aber warum sollten sie denn nicht kommen und uns dabei helfen, unsere Probleme zu bewältigen.

Nachtwächter: Wegen unserer permanenten Sendung, wegen unserer Mitteilung in den Weltraum. Mit allem sagen wir nur eines: Bleibt lieber fern, denn wir sind nicht mehr zu retten.

Übers Bloggen (6): Ziele des Bloggens

Muss ein Blog ein Ziel haben?

Das an sich recht interessante Blog-Projekt „Ziele mit dem eigenen Blog“ geht einfach davon aus, und es möchte einen möglichst breiten Querschnitt dieser Ziele sammeln. Es gibt sogar schon praktische „Vorgaben“ für mögliche Antworten…

Egal ob viele Besucher, viele Backlinks, gute Freundschaften oder einfach nur Spaß! Es gibt keine Vorgaben, welche den Inhalt betreffen, es muss nur zum Thema „Ziele“ passen! Ihr müsst keinen Roman schreiben — das muss jeder selbst wissen — aber alles in zwei Zeilen zu packen, dürfte schwierig werden. 200 Wörter wären fein, muss aber nicht sein!

…und wahrscheinlich decken diese „Vorgaben“ auch vieles von dem ab, was in verschiedenen Varianten des Ausdruckes genannt werden wird. Gelesen werden wollen, Verlinkt werden wollen (aber nicht gelinkt), Spaß haben wollen. Einige Blogger werden sich gar schwer tun, an den nahe gelegten Umfang von 200 Wörtern mit ihrem Text heran zu kommen, sie werden sich aber dennoch einen abschreiben, da sie sich davon zusätzliche Verlinkung versprechen. Und das kann ja sogar das Ziel eines Blogs sein… 😉

Aber tatsächlich muss ein Blog gar kein Ziel haben. Die meisten deutschsprachigen Blogs haben denn auch kein erkennbares Ziel, sie sind mehr oder minder regelmäßig wachsende Sammlungen des Unwichtigen und Belanglosen. (Kurai wird mir in diesem Zusammenhang einen Link hoffentlich nicht verübeln.)

Und genau das ist gut. Es ist einer der Vorzüge einer jeden wirklichen Blogsoftware, dass man „einfach drauflos schreiben“ kann, ohne schon vor dem ersten Text strategische Entscheidungen über Navigationsstruktur, Gliederung und Benutzerführung zu treffen, wie man dies mit jedem „ausgewachsenen“ CMS tun müsste. (Ich weiß wirklich, wovon ich rede.) Diese Freiheit von strukturellen Lasten beim Schreiben führt zwar nicht gerade zu einer durchschaubaren und damit leserfreundlichen Anordnung der Inhalte, aber sie ermöglicht auch einem Menschen mit geringem technischen Verständnis die Mitteilung seines Lebens, seiner Betrachtungen, seiner Gedanken; und seien diese noch so trüb, sumpfig, spießig, medienbeherrscht, konsumgeil und öde.

Die strukturellen Mängel werden teilweise durch ein System der „Tags“ — ich bevorzuge ja das deutsche Wort „Etiketten“, glaube aber nicht, dass es sich jemals durchsetzen wird — oder Kategorien ausgeglichen, sehr viel mehr hilft aber die im Laufe der Jahre gewachsene Bedeutung der Suchmaschinen, die einen Großteil der Erstleser (und in der Regel auch nur einmaligen Leser) recht direkt zu den gesuchten und hoffentlich gewünschten Inhalten führen. Tatsächlich habe ich bei der Benutzung größerer Systeme immer wieder beim Blick in die Zugriffsstatistiken beobachten müssen, dass auch eine ausgeklügelte Struktur der Navigation von den allermeisten Lesern gar nicht verwendet wird, da Google ihnen den direkten Link liefert; regelmäßige Leser hingegen nehmen dankbar eine Übersicht der neuesten Inhalte an, die ja jedes Blog als primäre Funktion zu geben vermag. Diese Beobachtung ist einer der Gründe, warum ich mich inzwischen viel lieber in Form eines Blogs ausdrücke.

Mit dieser Eigenart des unstrukturierten Schreibens haben die Blogs gewissermaßen das ursprüngliche Versprechen des Internet erst wahr gemacht. Das Internet ist zu einem Ort geworden, an dem sich alle Menschen mitteilen können. Handelte es sich technisch im Prinzip schon immer um einen Verbund prinzipiell gleich berechtigter Rechner, so endete diese Gleichheit in der Regel an den verschiedenen Möglichkeiten und Kompetenzen ihrer Anwender.

Als ich vor einigen Jahren meine erste kleine Website baute, um ein paar Texte zu veröffentlichen, musste ich mich noch direkt mit der Auszeichnungssprache HTML auseinander setzen, um meine Inhalte ansprechend und navigierbar aufzubereiten. Viele Menschen, die sich damals auch hätten mitteilen wollen, wären gewiss an dieser Hürde gescheitert — mir machte es nur wenig aus, da ich von Anfang an als Programmierender an die Computer herangetreten bin. Heute kann sich jeder Mensch ohne besondere technische Vorraussetzungen ein kostenloses Blog bei einem der vielen Bloghoster holen. Wer weiter gehende Ansprüche hat, besorgt sich einen preiswerten Webspace mit den entsprechenden Möglichkeiten und installiert sich ein fertiges Blogsystem; dieser Vorgang stellt auch keine großen technischen Ansprüche mehr. Das anschließende Sich-Mitteilen ist von der strukturlosen Leichtigkeit des Bloggens geprägt.

Natürlich wird bei solcher Leichtigkeit auch der Inhalt des Mitgeteilten oft etwas leicht. (Sogar bei mir ist das oft der Fall.) Führte früher die Beherrschung der technischen Grundlagen zur Teilhabe an einer „Elite“, die sich auch durchaus elitär gebärdete und vor allem Zeit beim Schreiben nahm; so muss der Blogger sich heute durch Inhalt von der vielfach stumpfen Masse absetzen. Die Menschen, die im Internet am lautesten über die „neue Beliebigkeit“ klagen, sind auffallend häufig die Mitglieder der damaligen „Elite“, die immer noch nicht fassen können, dass heute kaum noch ein Mensch mehrere Tage an einer Mail schreibt.

Aber muss ein Blog ein Ziel haben?

Vielen Blogs, die mir übern Weg laufen, kann ich kein Ziel ansehen. Ihre Betreiber hatten vielleicht einmal ein Ziel, vielleicht sogar einen hohen Anspruch, aber das merkt man dem Blog nicht an. Manche sind dennoch lesenswert, die meisten nicht. Einige Blogs haben hohe und offenbar wohl formulierte Ziele, die jeder Leser diesen Blogs auch anmerkt — es handelt sich um die vielen politischen Blogs aus unterschiedlichen ideologischen Kontexten, um die vielen Blogs, die verschiedene Auswürfe des Journalismus kritisch und aufmerksam begleiten, um viele Versuche von Firmen, über Blogs Werbung zu transportieren oder Kundenbindung zu schaffen. Auch von diesen Blogs sind manche lesenswert, die meisten nicht. Was ändert sich an der Qualität, am Schönwert eines Blogs durch die Tatsache, dass beim Bloggen ein Ziel im Vordergrund oder auch nur im Hintergrund steht? In meinen Augen liegt dieser Unterschied im Bereich der außersinnlichen Wahrnehmung…

Was die Qualität eines Blogs ausmacht, ist die in jedem Posting durchschimmernde Persönlichkeit dessen, der da bloggt. Das Urteil darüber, wie es mit der Qualität meines Blogs aussieht, überlasse ich besser denen, die es lesen — jeder Schreibende ist verblendet genug, um sein eigenes Werk für großartig zu halten, da bilde auch ich keine Ausnahme.

So, ich komme zum Schluss. 😉

(Warum habe ich das Posting eigentlich nicht mit diesem Satz angefangen.)

Darüber hinaus habe ich nämlich tatsächlich auch ein Ziel.

So unsortiert vieles in diesem überwiegend harmlosen Blog auch wirken mag, es ist alles für ein Ziel zusammen getragen, das allerdings etwas diffus ist. Ich habe die Absicht, eine tägliche Dokumentation jener Kälte, Lebensfeindlichkeit, Beziehungslosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Lieblosigkeit und Bewusstlosigkeit zu erstellen, die vom Prozess, der gegenwärtig über die „westlichen“ Gesellschaften abläuft, in den Seelen der Menschen erzeugt werden und dem ganzen menschlichen Miteinander ihren Stempel aufdrücken.

Dabei gehe ich in der Regel von ganz alltäglichen Beobachtungen aus, die ich aber nicht wie die meisten Menschen in der Verdrängung versinken lasse, sondern die mich zum Reflektieren reizen. Jeder Mensch der Jetztzeit kann die Beobachtungen nachvollziehen, wenn er will. Die meisten zitierten Gesprächsausschnite in diesem Blog haben wirklich stattgefunden, ich erlebte sie beim Betteln, beim Zusammensitzen mit Freunden, bei alltäglichen Begebenheiten; sie wurden manchmal von mir sprachlich an die Schriftform angepasst, aber nie inhaltlich verändert. Die meisten dunklen Gedanken kamen mir wirklich, wenn ich aufmerksam durch die Welt ging. Ich sammle diese ganzen Materialien gegen die ansonsten unverschämt bequeme Verdrängung, die das Leben so vieler Menschen der Jetztzeit zu prägen scheint.

Dieses Ziel ist ein persönliches Ziel, ich denke dabei nicht an Leser. Tatsächlich bin ich erstaunt, dass ich Leser habe. In erster Linie handelt es sich bei meinem Bloggen an diesem Ort um einen Akt der psychischen Hygiene. Ich behalte das, was mich vergiftet, nicht in mir, sondern gebe ihm einen Ausdruck. Wer solch‘ Bild nicht zu eklig findet, mag dieses Bloggen mit einem Akt der Defäkation vergleichen. Es handelt sich beim hier gebloggten auch immer um „Verdautes“, niemals um „Erbrochenes“; ob das, was bei mir rauskommt, wirklich wertvoller ist als das, was in mich eingeht, das muss ebenfalls wieder der Leser entscheiden. Es ist in jedem Fall ungiftiger als die Zustände.

Aber mit diesem zunächst persönlichen Ziel geht noch eine weiter gehende Absicht einher. Ich bin mir genau darüber bewusst, dass das heutige Internet ein Ort geworden ist, der nicht schnell vergisst. Dieses Blog wird regelmäßig vom Web-Archiv besucht und damit dauerhaft archiviert. Es wird aber auch vielfach von Einzelpersonen in RSS-Readern archiviert und teilweise auch im Internet weiter publiziert, was ich in meiner Piratenlizenz ausdrücklich erlaube. Ich weiß genau, dass der gegenwärtig über die Gesellschaften ablaufende Prozess nur wenig Spuren hinterlassen wird, die späteren Menschen beim rückblickenden Verständnis dieses Prozesses helfen können; mein bisschen Schreiben sehe ich dabei als Hilfe für die Menschen nach dem Zusammenbruch. Tatsächlich sehe ich die Möglichkeit klar vor Augen, dass auch die Gesamtheit meiner Texte beim bevor stehenden Zusammenbruch der gegenwärtigen Gesellschaftsform verschwinden wird. Es handelt sich um eine Flaschenpost in der Zeit, bei der nicht nur die Empfänger ungewiss sind, sondern auch völlig unklar ist, ob es überhaupt einen Empfang geben wird. Dennoch ist diese Flaschenpost meiner Meinung nach wichtig. (Schließlich habe ich mit meinem Leben Schiffbruch erlitten — und im Gegensatz zu dem meisten Zeitgenossen weiß ich es auch.)

Die meisten Menschen verdrängen das Maß der täglichen Entmenschung mit zäher Entschlossenheit, so dass es nur selten mitgeteilt oder gar fixiert wird; tatsächlich habe ich einmal von einer narkotisierten Gesellschaft gesprochen, in der Menschen sich mit allen Mitteln und immerfort steigenden Reizungen des Hirnes und Nervensystemes von der trüben Einsicht der Wirklichkeit abhalten wollen. Auch dem politisch motivierten Widerstand gegen den gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozess — so nötig er auch ist — gelingt es in der Regel nicht, die völlige Entpolitisierung der Menschen zu erkennen, die unter den herrschenden Bedingungen längst auf eine Existenz als bloße Funktionseinheiten eingedampft sind.

Ich verstehe mich also hier in erster Linie als ein Archivar des konkreten Grauens. „Ein Nachtwächter ist wach, wenn andere Menschen schlafen…“ — eine revolutionäre Absicht habe ich mit diesem Blog nicht. Deshalb nenne ich es auch oft ein „größtenteils harmloses Blog“, manchem Menschen wird es wohl auch zu harmlos sein. Wahrscheinlich ist dieses ganze Archiv in nur zehn Jahren komplett vergessen, aber es war den Versuch wert. Allein wegen meiner persönlichen psychischen Hygiene.

Dieses Posting entstand im Rahmen des Blogprojektes „Ziele mit dem eigenen Blog“ bei blogschrott. Und aufmerksam geworden auf dieses Projekt bin ich beim Lesen des Roten Blogs, das ganz gewiss ein Ziel verfolgt…

Kirchliche Neurose

Immer, wenn der Fühlende und Denkende einmal einen so genannten „christlichen Gottesdienst“ der großen, institutionalisierten Jesusverkäufer miterlebt, kann er die gleiche Beobachtung machen. Es handelt sich um eine Aufführung — übrigens um eine oft von Seiten der Zelebrierenden mit großem schauspielerischen Talent vorgetragene –, bei der kein Raum für Menschlichkeiten und Fehler entstehen soll; bei der so peinlich auf die Form geachtet wird, dass sich der Inhalt hinter dem formalen Schleier versteckt. Besonders deutlich wird dies daran, dass der Aufführende seine liturgischen Texte aus einem Buch abliest, und zwar selbst denn noch, wenn sein Alter den Eindruck erweckt, dass er jeden Text auswendig kennen müsse.

In dieser Erscheinung zeigen sich zwei Tatsachen. Erstens ist der Gott, von dem dort gesprochen wird, ein menschenfernes und maschinell-kaltes Wesen, das keine Schwächen und Fehler duldet; in der Form der religiösen Annäherung spiegelt sich der Angstcharakter der Religion. Zweitens aber zeigt sich in diesem Perfektionismus ein überdeutlich zwangsneurotischer Zug, der eine erste Ahnung davon gibt, dass die ganze Darbietung einer institutionaliserten, kollektiven Zwangsneurose entspringt. Und gerade dieser Eindruck bestätigt sich immer wieder mit geradezu ermüdender Regelmäßigkeit, wenn man es mit wirklichen Gläubigen des pathogenen Unfuges zu tun bekommt.

„Da aber alles Volk zuhörte, sprach Jesus zu seinen Jüngern: Hütet euch vor den Theologen, die da wollen einhergehen in langen Kleidern und lassen sich gern grüßen, wenn man ihnen begegnet und sitzen gern auf dem besten Platz in der Kirche und beim Essen; sie fressen der Witwen Häuser und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden desto schwereres Urteil empfangen.“ (Jesus aus Nazaret, nach Lk. 20, 45-47 aus der Luther-Übelsetzung)

Vorhaltung

Es gibt genau zwei Dinge, die sich Politiker immer wieder gern vorhalten lassen: Mikrofone und Kameras.

Die neue Aufklärung

Was die Menschheit angesichts der sich immer mehr ausweitenden Irrationalität, ja, des pseudowissenschaftlich getarnten Aberglaubens namens „Wirtschaftswissenschaften“ benötigt, das ist eine neue Aufklärung. Dies gilt umso mehr, als dass inzwischen ganze Gesellschaftssysteme an diesem modernen Unfug ausgerichtet werden sollen und auch immer mehr ausgerichtet werden.

Die mechanisch-gebetsmühlenhaft wiederholten Formeln und die unvernünftigen Forderungen (zum Beispiel die jeder „neuen“ Idee stets implizite Forderung nach endlosem exponentiellen Wachstum) der Vertreter dieses geldbetrunkenen Aberglaubens müssen auseinander genommen und richtig gestellt werden, und zwar immer und immer wieder, bis nicht einmal mehr die Dümmsten dem hanebüchenen Unsinn Glauben schenken mögen. So ermüdend dieses Richtig-Stellen ist, so wenig darf sich der Geist dabei ermüden lassen — wer stumm bleibt, stimmt zu.

Die folgende Liste enthält nur Anregungen für die erforderliche neue Aufklärung:

  • Der wirtschaftliche Prozess hat dem Menschen zu dienen, nicht der Mensch dem wirtschaftlichen Prozess. Wo die Anforderungen des wirtschaftlichen Prozesses zur kategorischen Forderung an die Menschen werden, da ist eine Ersatzreligion entstanden, welche die zu erringende Gnade der alten Gottheiten gegen die zu erringenden wirtschaftlichen Kennziffern ausgetauscht hat. Wenn Menschen sich um jeden Preis an wirtschaftliche Selbstzwecke — die meist als Sachzwänge vermittelt werden — anpassen sollen, entsteht ein moderner Götzendienst. Der angebetete Götze ist jedoch ein Menschen fressender Moloch.
  • Die Forderung nach endlos fortgesetztem exponentiellem Wachstum ist nicht erfüllbar. Dies gilt auch unter optimistischsten Annahmen bezüglich der zukünftigen technischen Entwicklung. Eine solche Forderung für erfüllbar zu halten, ist in ähnlicher Weise dumm wie es dumm ist, an die Wirksamkeit von Magie zu glauben, die Erde für eine Scheibe zu halten oder entgegen aller beobachtbarer Tatsachen am Kreationismus festzuhalten. Das weise Verwerfen der dummen Idee vom fortgesetzten exponentiellen Wachstum beinhaltet auch die Möglichkeiten zur vernünftigen Familienplanung.
  • Die Erfüllung der Forderung nach „mehr Wettbewerb“ führt nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer langfristigen Verschlechterung der Bedingungen. Tatsächlich ist es eine Eigenart der Spezies Mensch, dass sie ein soziales Wesen ist. Viele spezielle Möglichkeiten des Menschen, die sich in der Vergangenheit als evolutionärer Vorteil erwiesen, haben in dieser Eigenart ihre Wurzel. Die einmaligen Möglichkeiten der sprachlichen Kommunikation schaffen die Bedingung für komplexe Formen der Zusammenarbeit, diese wiederum überwinden die Beschränktheit der Möglichkeiten des Individuums. Die großen menschlichen Leistungen entstehen im Miteinander der Menschen, nicht im Gegeneinander. Ich möchte gar nicht wissen, an welchem Punkt die heutigen technischen Möglichkeiten, die Software oder die Grundlagenforschung angelangt wären, wenn nicht jede Entwicklung unter den erstickenden Bedingungen des Gegeneinanders stattgefunden hätte. (In der Software hat dieses Gegeneinader einst kaum existiert, da man Software in der Anfangszeit der EDV nicht für ein wirtschaftliches Gut hielt. Alle Grundlagen heutigen computings wurden in dieser Zeit geschaffen, während seither nicht mehr viel geschah.)
  • Menschen sind keine „Arbeitsdrohnen“, sondern Individuuen mit jeweils eigenen Möglichkeiten und Einschränkungen. Es ist angesichts der kommenden Schwierigkeiten, die sich bereits jetzt am Horizont abzeichnen, ein nackter Wahnsinn, auch nur auf die spezifischen Möglichkeiten eines einzigen Menschen verzichten zu wollen. Jedem muss es so weit wie nur eben möglich gemacht werden, seine Fähigkeiten zu entwickeln und seine Einschränkungen zu überwinden.
  • Wissen und Bildung dienen nicht zur „Ertüchtigung im betrieblichen Produktionsprozess“, sondern sind unabdingbare Grundlagen der Freiheit. Die Umgestaltung der Schulen zu wirtschaftlichen Ertüchtigungsanstalten und die Umgestaltung der Hochschulen zu besseren Berufsschulen muss gestoppt werden. Ebenfalls muss der untragbare Luxus beendet werden, dass der Zugang zur Bildung nicht eine Frage der Fähigkeiten, sondern der Herkunft und des sozialen Kontextes ist. Das ferne Ziel, das sich heute schon in der eitlen biologischen Gattungsbezeichnung homo sapiens (weiser Mensch) ausdrückt, wird niemals vom homo oekonomicus (wirtschaftlicher Mensch) erreicht werden.
  • Die psychische Beschaffenheit des Menschen ist noch weniger ignorierbar als seine physische Beschaffenheit, obwohl sie quantitativ nicht erfassbar ist. Ein Mensch ist immer in erster Linie ein psychisches Wesen. Jemand, der erhebliche körperliche Einschränkungen hat, etwa ein Blinder, aber dabei über ein hohes Maß an psychischer Gesundheit verfügt, kann mit erstaunlicher Leichtigkeit diese Einschränkung bewältigen. Aber jemand, der umgekehrt über völlige physische Gesundheit verfügt, aber dabei psychisch deformiert ist, der ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Es muss damit aufgehört werden, die Psyche des Menschen wie ein lästiges Anhängsel zu bekämpfen und die Opfer dieses Kampfes mit dem bösen Wort vom „nur psychisch“ zu verunglimpfen. Ebenso darf es sich eine menschliche Gesellschaft nicht weiter leisten, dass die Erfüllung psychischer Bedürfnisse allein in den Händen der Werber, Sekten und religiösen Institutionen verbleibt, obwohl dort diese Bedürfnisse nur zum Zweck des finanziellen Gewinns und des Machterwerbs ausgebeutet und flugs abgespeist werden. Ebenso muss die gewaltvolle Unsitte beendet werden, Menschen durch Vermittlung von Angst zum gewünschten Verhalten zu bewegen.

Jeder Mensch ist aufgefordert, diese fragmentarische Liste um weitere wichtige Punkte zu ergänzen. Und. Jeder Mensch ist aufgefordert, für diese „neue Aufklärung“ einzustehen und im Zweifelsfall zu kämpfen, wo andere Abhilfe nicht möglich ist.