Das Universum hat vier Eigenschaften, die dem Menschen nicht geheuer sind. Dieses Ungeheure am Universum führt zu einem psychischen Widerstand im Denken, der sich lähmend auf die Einsicht auswirkt und der angesichts der jetzigen und in Kürze kommenden Aufgaben der Menschheit von jedem einzelnen Menschen überwunden werden muss.
Zunächst ist das Universum homogen. Überall im Universum geschehen alle Ereignisse nach den gleichen Regeln. Es ist im Gegensatz zum (vielleicht nirgends existierenden, aber in jedem Fall unbegreiflichen) Chaos ein Kosmos; ein geordneter Bereich, dessen Ordnungsprinzipien uns sogar teilweise verständlich sind. Gäbe es auf einem fernen belebten Planeten eine dortige Entsprechung von Issac Newton und Apfelbäume, denn könnte dieser Newton auch dort die Äpfel zu Boden fallen sehen, und die Geschwindigkeit, in der die Äpfel fielen, hinge in einer Weise von der Masse jenes Planeten und vom Luftwiderstand des Apfels ab, die für uns so weit durchschaubar wäre, dass wir bei Kenntnis dieser Parameter die Geschwindigkeit ausrechnen könnten. Es gibt keinen Ort im Universum, in dem andere Regeln als die uns erkennbaren wirken, kein Ort ist durch eine abweichende Ordnung privilegiert. Das ist dem Menschen nicht geheuer, denn er hält den Ort seines Seins für etwas Besonderes, er hält das Zentrum seiner Wahrnehmung für die einzige wirkliche Existenz.
(Die Frage, ob die vom äußeren Universum völlig abgeschirmten Schwarzen Löcher sich in diese Betrachtung fügen, ob sie überhaupt zum Universum zu zählen sind, sie lässt sich für uns allerdings zurzeit nicht beantworten. Sie ist eine sowohl philosophisch als auch physikalisch harte Nuss. Da aber der Raum jenseits des Ereignishorizontes eines Schwarzen Loches ein Ort ohne die Möglichkeit einer Rückkehr in das äußere Universum ist, fügt dieses Unwissen der Betrachtung keinen allzu großen Schaden zu.)
Ferner ist das Universum isotrop. Von jedem Punkt im Universum aus betrachtet ergibt sich im Großen und Ganzen — Pedanten lesen hier: im statistischen Mittel — der gleiche Eindruck. Die Galaxien und die von ihnen gebildeten größeren Strukturen sind in jeder Richtung gleichmäßig verteilt, ebenso die unermesslichen Leerräume zwischen diesen Ansammlungen sichtbarer Materie. Der Blick geht auch von jedem Punkt aus in jede Richtung gleichermaßen weit in die Ferne. Obwohl das Universum nicht unendlich groß ist, verfügt es über keinerlei Mittelpunkt oder einen anderen privilegierten Ort. Auch das ist dem Menschen nicht geheuer, denn er sieht sich stets im Zentrum seiner eigenen Wahrnehmung und lässt sich diese Illusion seiner Wahrnehmung allzu gern gefallen.
(Die nahe liegende Frage, wie eine solche Eigenschaft entstehen kann, wenn das Universum doch nicht unendlich ist, lässt sich zwar leicht durch den Verweis auf eine Krümmung des gesamten Universums beantworten, aber nur schwer verbildlichen. Die beste Antwort scheint mir eine Gegenfrage zu sein: Wo hat denn die Erdoberfläche ihren Mittelpunkt? Schon die Einsicht, dass es einen solchen privilegierten Ort auf der Erdoberfläche nicht gibt, hat den Menschen nicht geschmeckt, und sie hat sich nur gegen Widerstände durchgesetzt, die zum Teil bis heute sprachliche und damit psychische Kraft entfalten, wenn etwa von einer „Himmelskuppel“ oder einem „Sonnenaufgang“ die Rede ist, im Widerspruch zu Tatsachen, die jedem Zwölfjährigen geläufig sein sollten.)
Die dritte ungeheure Tatsache über das Universum ist die Expansion; der Fakt, dass sich das gesamte Universum unablässig räumlich ausdehnt und dass diese Ausdehnung einen Anfang hatte. Vor diesem Anfang existierte nichts, was im Universum erkennbar ist. Uns ist nicht einmal der Grund erkennbar, aus dem heraus diese Ausdehnung begann, oder, um es etwas plumper zu formulieren, warum überhaupt Etwas existiert und nicht einfach Nichts. Die Bedingungen, die diese Ausdehnung beginnen ließen, sind ein unwissenbares Mysterium, denn die Regeln des verständlichen Kosmos begannen erst mit dieser Ausdehnung und hatten vorher keine Existenz. Während wir Menschen es im Denken gewohnt sind, alle verständlichen Erscheinungen als Auswirkung von teils komplex zusammenwirkenden Ursachen zu verstehen, stehen wir am Anfang dieser alles durch den Kosmos und die Zeit verbindenden Kette von Ursachen vor einem plötzlichen, unverursachten und damit auch sinnlosen Erscheinen, das außerhalb des kosmischen Gefüges steht. Diese fundamentale Einschränkung jeder noch so hoch entwickelten Einsichtsfähigkeit ist für den Denkenden äußerst unbehaglich und wird deshalb auch so gern verdrängt.
(Einige Menschen nehmen dies zum Anlass, das unüberwindliche Unwissen durch einen psychologischen Kunstgriff abzuwehren, indem sie den archaischen Gottesbegriff zur Hilfe nehmen und Gott zur Ursache aller Dinge erklären. Das Konzept ist nicht nur deshalb fragwürdig, weil es als reine Verschiebung des Unwissens die Frage nicht beantworten kann, wer oder was denn diesen Schöpfergott hervorgebracht hat oder wie er sich vielleicht selbst geschaffen hat. Diese Menschen verzichten auch darauf, die Konsequenz dieses Kunstgriffes zu bedenken. Wenn ein Gott als außerkosmische Entität agiert, denn hat dieser Gott innerhalb des dabei entstandenen, geordneten Kosmos keinen Raum und damit auch keine Existenz. Er wäre den im Kosmos gebundenen denkenden „Kohlenstoffeinheiten“ etwa so fern wie eine hypothetische Welt, in der eins plus eins dreiundzwanzig ergibt oder in der aus dem Nichts Materie entstehen kann. Wer Gott außerhalb des Kosmos ansiedelt, lässt ihm in jenem Kosmos, in dem wir leben, Wohnungsnot leiden, spricht Gott jede Form der Existenz ab, die für uns irgendeine Konsequenz haben könnte — und ein solcher Gedanke wäre jedem Menschen, der mit Gott „argumentiert“, doch nicht erwünscht.)
Die vierte ungeheure Tatsache ist die Existenz einer kosmischen Höchstgeschwindigkeit. Kein Ding, keine Information, keine Energie kann sich schneller als mit der Geschwindigkeit des Lichtes im Vakuum durch den Raum bewegen, und eine mit Masse behaftete Materie kann nicht einmal diese Geschwindigkeit erreichen. Diese Einschränkung widerspricht der verbreiteten und gebildet verkleideten, aber kindischen und unwissenden Wahnidee eines unbegrenzten exponentiellen Wachstums, die zum Beispiel zurzeit die Grundlage das menschlichen Wirtschaftens und des auf Zinseszins-Dynamik basierenden, menschlichen Geldsystemes bildet. Denn ein durch die Zeit fortgesetztes exponentielles Wachstum benötigte eine im Fortschreiten der Zeit exponentiell wachsende Menge an Energie, während selbst noch die bestdenkbare Technik innerhalb des Kosmos ihre energetischen Ressourcen aus einem höchstens mit der dritten Potenz der Lichtgeschwindigkeit anwachsenden Bereich des Raumes entnehmen könnte. Selbst unter optimalen Bedingungen führt jede Dynamik auf der Grundlage exponentiellen Wachstums zum Erreichen einer Grenze und somit zu einer Krise — im Bezug auf die Menschheit wird diese Krise mörderisch sein, und diese Einsicht ist die am stärksten verdrängte Einsicht des gegenwärtigen Erkenntnisstandes der Menschheit.
(Unsere weit hinter dem Optimum zurückbleibenden technischen Möglichkeiten werden schon lange vor dieser theoretischen Grenze zur Krise führen, da wir damit nur auf die energetischen Ressourcen unseres Planeten zugreifen können, die sich sehr viel schneller erschöpfen werden. Mörderisch wird die dabei entstehende Krise dennoch sein.)
Wenn die Menschen doch nur angesichts der Ungeheuerlichkeit des Universums bescheiden und demütig würden!
(Ihre psychologische Konstruktion eines Gottes hat in diesem Punkte jedenfalls auf ganzer Linie versagt. Wer das nicht glaubt, lese die Nachrichten! Die Gottesidee ist nur ein historischer Kunstgriff, um den dummen Narzissmus des Menschen heilig zu sprechen und ist deshalb zu verwerfen.)