Archive for Oktober, 2010


Frauenquote

Wenn eine politische Partei eine „Frauenquote“ für ihre Führungspositionen einführt, ist das nicht ganz ein Schritt in die richtige Richtung. Sehr viel not-wendiger wäre die Einführung einer Kompetenzquote.

Drei

Aus dem Inneren einer Behörde

Nur wenige Orte in Deutschland sind von einer derart greifbaren Kälte und Tristesse erfüllt wie die Innenräume der Behörden. Alles darin dient dazu, dem Menschen, der zum Hohn auch noch „Besucher“ gerufen wird, klar zu machen, welche Rolle er einzunehmen hat: Die Rolle eines Bittstellers vor der staatlichen Gewalt, dessen Menschlichkeit auf eine Nummer und eine Handvoll Zahlen eingedampft wird.

Lord Phobos

Sie ist Christin, wenn auch in persönlich üblen Zeiten. Immer wieder versuchte sie sich über die üble Zeit hinwegzuhypnotisieren, indem sie eines ihrer euphorisierenden Liedchen ohne Unterbrechung leise wiederholte, Stunde um Stunde durch die Trübnis. An der Stelle, an der sich die Melodie emporschwingt, klingen als Text die Worte: „Wann immer mich Angst befällt, traue ich auf dich„. So singend, belegt sie jedem Hörenden, dass die Angst ihr Gott ist.

Auswärtiges Denken

Als im 19. Jahrhundert die Eisenbahn erfunden wurde, diente zur Gestaltung der Waggons die Kutsche als Vorbild zur Gestaltung des Interieurs. Die Menschen saßen sich in den Zügen jeweils in einem Abteil gegenüber und ein jedes solches Abteil hatte eigene Einstiegstüren. So verhält es sich auch mit dem modernen Internet heutzutage. Die Menschen suchen nach einem Gespräch, einem Kontext an den sie sich klammern können und in welchem sie ihre Persönlichkeit (oft mit auch mit Verweis auf die eigene Homepage) zur Geltung bringen können. Das Potential des Internets und die Auswirkung auf die Kommunikation haben sie noch gar nicht entdeckt.

Aus einem Kommentar von „dingenskirchens“ bei weissgarnix

Stolperfrei

Er hatte so einen glatten Lebenslauf, so völlig frei von jeglichem Zeitraum, der nicht der Schule, der Weiterbildung oder der Arbeit gewidmet gewesen wäre. Er sagte dazu: „Ich bin eben immer vorwärts gegangen“, und er hatte nicht das geringste Verständnis dafür, dass es für andere Menschen — wenn sie nicht erfreulichere Lebensziele als die Vermarktung ihrer Selbste haben — durchaus Phasen der Krise, Krankheit und Besinnung geben kann, die auch von der beständigen Forderung der Vermarktung ihrer Selbste befördert werden. Wer stets kriecht, kann ja auch nicht stolpern.

Der Beantworter

Er war ein so energischer Materialist, dass er beim Gang übern Friedhof am liebsten unter jedes hingemeißelte Warum? die Antwort „Wegen der Physik natürlich“ geschrieben hätte.

Die geschriebene Geschichte

„Ozeanien hatte sich niemals mit Eurasien verbündet“, So sagte es die Partei. Er, Winston Smith, er wusste, dass Ozeanien mit Eurasien verbündet gewesen war; nicht einmal vier Jahre war es her. Doch… wo existierte dieses Wissen? Es war nur in seinem eigenen Bewusstsein, und dieses Bewusstsein würde bald schon ausgelöscht werden. Und wenn alle die Lüge akzeptierten, die von der Partei auferlegt ist — wenn alle Berichte gleich lauteten — dann ginge diese Lüge in die Geschichte ein, dann wurde sie zur Wahrheit. Die Parteiparole lautete: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, der kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, der kontrolliert die Vergangenheit“. Es war sehr einfach. Es wurde nichts weiter als eine niemals abreißende Folge von Siegen über die eigene Erinnerung benötigt. Man nannte es „Realitätskontrolle“, in Neusprech: „Doppeldenk“.

aus 1984, von George Orwell

Die Wohlerzogenen

Hush my baby! Baby don`t you cry!
Mother`s gonna make all your nightmares come true.
Mother`s gonna put all her fears into you.

Pink Floyd: Mother

Kleine Kinder werden von zerbrochenen Erwachsenen dann als „besonders gut erzogen“ empfunden, wenn ihr Wesen nicht altersgemäß lebhaft, sondern eingeschüchtert und verängstigt ist, wenn sie schon ihr eigenes Lebensrecht völlig gegen den Anspruch ihrer Erzieher eingetauscht haben, noch bevor in ihnen auch nur ein Bewusstsein ihres eigenen Lebensrechtes erblüht wäre. Aus diesen kleinen Kindern wachsen die großen Infantilen, die den Staat einen „Vater“ und die institutionalisierte Religion eine „Mutter“ nennen — und die sich, wann immer das von ihnen geforderte Leben nicht ohne psychische Ausfälle gelebt werden kann, zur „Nacherziehung“ der so genannten „Therapie“ zu einem Sozialpädagogen begeben.

Wer schaut, ist geisteskrank!

Es ist jetzt schon einige Zeit her, dass ich von den Beamten einer vorbeifahrenden Polizeistreife ausführlich kontrolliert wurde und dabei auch einige Fragen zu hören bekam, deren Zweck einzig darin bestand, meinen Geisteszustand zu untersuchen: Fragen nach meinem Namen (bei anschließendem Vergleich des mitgeteilten Namens mit dem Personalienausweis* in der Hand), dem aktuellen Datum, der Tageszeit und auch nach dem Ort, an dem ich mich befand; ganz so, als sei ich nicht mehr bei Sinnen gewesen. Abgeschlossen wurde die spontane Befragung mit der Frage, ob ich gedächte, Selbstmord zu begehen. Der offensichtliche Verdacht der Polizisten, ich hätte ein gestörtes Verhältnis zu grundlegenden Aspekten der Realität, er wurde nicht etwa dadurch erweckt, dass ich wie ein Berserker brüllend durch die Straßen gegangen wäre, denn sonst müssten eine solche plumppsychologische „Untersuchung“ bei jedem Volksfest und jedem Fußballspiel zehntausendfach durchgeführt werden. Nein, ich zeigte kein Zeichen von Aggression und war vollkommen ruhig. Meine für das langsam vorbeifahrende Auge so verdächtig aussehende „Tätigkeit“ bestand darin, dass ich an einem Fluss stand und mehrere Minuten lang einen Reiher betrachtete, der reglos in die trüben Fluten schaute, so, wie Reiher dies zu tun pflegen. Dass einer herumsteht und abseits der Bedingungen eines gesellschaftlichen Prozesses, der unentwegte Hast und Tätigkeit von allen Menschen fordert, für einen kurzen Moment müßig innehält, um einen erfreulichen Aspekt seiner Welt zu betrachten, das reicht (mindestens) bei diesen beiden Uniformierten hin, um den Verdacht einer Geisteskrankheit zu erwecken, um einen innehaltenden Menschen offen und kalt zu pathologisieren, während man das Hoheitszeichen an Arm und Kopf trägt. Eine routinierte Geste, die ihre schnelle Wirkung nicht verfehlt, die aber erst mit etwas zeitlichem Abstand verstanden wird. Mögen die „Gesunden“ noch viel Spaß beim Strampeln im Kühlschrank haben!

*Das in Plastik eingeschweißte Kärtchen weist meine Personalien aus, und nicht etwa mich als Personal.

Diminutiv Superlativ

Es sind meist die gemeinsten, patzigen und unverschämten Briefe, die ihre Aufforderungen in der Floskel „Wir bitten sie höflichst“ verpacken.

Zur Biologisierung der Intelligenz

Kein Vormarsch ist so schwer wie der zurück zur Vernunft.

Bertold Brecht

Das Problem bei der plumpen genetischen Betrachtung der menschlichen Intelligenz ists, dass es sich bei der menschlichen Denkfähigkeit (und nicht nur bei dieser) um eine komplexe, systemische Erscheinung handelt, die weder in ihrem Wesen noch in ihrer Beschaffenheit vollständig verstanden ist — das Denken trifft doch auf Schwierigkeiten, wenn es selbstbezüglich über das Denken nachzudenken trachtet. Gewiss wird es einen gewissen Anteil genetisch erworbener Fertigkeit im Denken geben, doch schon der Versuch einer Messung dieses Anteiles ist diee Idee, einen nummerischen Maßstab für eine eher intuitiv erfasste Größe zu finden, oder genauer, diesen zu erfinden. Der so genannte „Intelligenzquotient“ ist recht grob und misst vor allem funktionale Subsysteme der Intelligenzleistung, und diese Messung orientiert sich daran, wie gut ein Mensch in einem technokratisch-industriellen Produktionsprozesse verwendbar ist. (Die Rolle der ebenfalls kaum zu fassenden Kreativität bei der Entwicklung oder Abwandlung von Strategien zur Lösung neuer Probleme kommt in diesem von Militärs erfundenen Verfahren gar nicht vor.) Nicht nur, dass sich einige Anforderungen derartiger „Intelligenztests“ leicht durch ein Computerprogramm bewältigen lassen — etwa die Ergänzung von Zahlenreihen durch das Verfahren der finiten Differenzen — und dass wohl niemand bezweifelt, dass ein Computerprogramm nicht als intelligent betrachtet werden kann; auch werden schon bei diesen scheinbar objektiven Verfahren Leistungen gemessen, die bereits eine deutliche sozial erworbene Komponente haben. Bei einer Untersuchung einer größeren Gruppe Menschen wird sich wohl schnell herausstellen, dass Kinder schlecht bewerteter Eltern ebenfalls schlechte Ergebnisse erbringen, diese Korrelation spiegelt jedoch die behauptete Erblichkeit der Intelligenz nicht wider, sondern entsteht in einem übergeordneten sozialen Prozess, in dem die betrachteten Menschen als soziale Wesen verflochten sind. Die volkswissenschaftlichen — also unwissenschaftlichen und am Stammtisch erblühenden — biologischen Analogien verwirren bei solchem Zahlenwerk den Sinn. Es ist zwar wahr, dass aus der geschlechtlichen Vereinigung zweier Eintagsfliegen keine Spinne entstehen oder dass kein Hamster als Kind zweier Mäuse geboren wird; allerdings kann die Kind zweier Menschen, die bei Intelligenztests nur durchschnittlich oder auch schlecht abschneiden, sehr wohl ein Genie sein oder doch wenigstens deutlich bessere Zahlen erzielen. Ein solches Kind bedürfte hierzu vor allem der Bildung und lustvoller Anreize zur Benutzung seiner intellektuellen Fähigkeiten.

Dass — plump zusammengefasst — Deutschland auf „biologischem Wege“ verblöde, weil sich dümmere Menschen besser fortpflanzten, ist keine Aussage, die auf besondere intellektuelle Schärfe schließen lässt. Die Menschen in Deutschland verblöden auf „sozialem Wege“ — in den kalten sozialen Menschenprägwerken der Schule, der Contentindustrie und einer Arbeitswelt, die mitdenkende Mitarbeiter tendenziell ausgrenzt und bestraft.