„Lass dich nicht von den Journalisten irremachen, die PResseerklärungen abschreiben, als ob sie eine richtige Nachricht wären, und die dir deshalb zurzeit überall Wirtschaftseinbrüche und Verluste vermelden“, sagte der Vorübergehende zum Nachrichtengläubigen, „denn der Unternehmensgewinn ist letztlich nur jener Teil der Bilanz, den der Vorstand einer Aktiengesellschaft bei aller Trickserei und beim bestem Willen nicht mehr vor den Aktionären und vorm Finanzamt verstecken kann“.
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Die Wirtschaftsberichterstattung der Journalisten hat sich inzwischen völlig vom Wirtschaften losgelöst und konzentriert sich auf das Wettgeschäft an der Börse. Von daher ist es eine völlig natürliche Entwicklung, dass die Sprache sich immer mehr an die entintellektualisierende, faktenferne Sprache der Sportberichterstattung angleicht; an das andere große Buchmacher-Thema im Journalismus. Wo von Einschätzungen, Gefühlen, Hoffnungen, Aufsteigern und Absteigern die Rede ist, da könnte auch ein Hellseher, Astrologe oder Kartenleger die Nachrichten schreiben.
Wenn es eine Lektion gibt, die man aus der Corona-Pandemie lernen kann, ja, lernen muss, dann ist es diese: Auch die robustesten Wirtschaften des 21. Jahrhunderts drohen zusammenzubrechen, wenn Menschen auch nur ein Vierteljahr lang ausschließlich das kaufen, was sie wirklich benötigen. Niemand anders hat bislang die Menschen so gut über den Kern der gegenwärtigen Wirtschaftssysteme unterrichtet wie dieses Virus, das nur wenige Nanometer groß ist.
„Es ist doch in gewisser Weise eine herrliche Realsatire“, sagte der Vorübergehende zu seinem besorgten Mitmenschen, „dass jetzt zur Corona-Pandemie die gesamte Weltwirtschaft vor dem Zusammenbruch steht, einfach nur, weil die meisten Menschen nur noch kaufen, was sie wirklich brauchen“.
So lange in den als wichtige Nachricht und oft als einzige Wirtschaftsnachricht präsentierten Börsenberichten in Presse und Glotze ständig von Glauben, Hoffnung, Erwartung und Psychologie, aber niemals von überprüfbaren und falsifizierbaren Fakten die Rede ist, so lange sollte jedem Denkenden klar sein, dass man es in den glänzenden Tempeln und Bordellen der „Märkte“ mit nichts anderem als einer gottlosen Religion von menschen- und intelligenzverachtenden Geldanbetern zu tun hat.
Vorübergehender: „In der Zeitung ist schon wieder so viel von Glaube, Erwartung, Hoffnung, Stimmung, Vertrauen, Zukunft zu lesen“.
Zeitgenosse: „Wieso liest du auch die Meldungen aus der Religion“?
Vorübergehender: „Ich lese den Wirtschaftsteil“.
Wenn sich die Menschen doch einmal hinstellen und mit ihrer leisen, nahezu wirkungslosen Stimme einfordern, dass sie von dem Lohn für ihre Arbeit auch leben können wollen, dann ertönt hoch oben von einem gewaltigen Berg aus Geld die durch Presse und Glotze millionenfach verstärkte, jede Widerrede übertönende Stimme: „Deine Gier ist schlecht für die Wirtschaft“.
An der WHU¹ gibt es kein Studentenleben. In der Pause wird „Wall Street Journal Europe“ gelesen oder der nächste studentische Private Equity Club organisiert. In Vallendar rennen Studenten mit ihrem Laptop zwischen Vorlesung und Schreibtisch hin und her. Nur keine Zeit verlieren. Vor Klausuren wird kollektiv bis zum Morgengrauen gelernt. Im Prüfungssaal stinkt es dann nach Red Bull. Zur geistigen Freiheit wird da niemand erzogen. Für Reflexion ist kein Platz im vollgepackten Curriculum. In der spärlichen Freizeit wird gesoffen. Work hard, play hard […] Dort werden nur Ordner auswendig gelernt. Es ist ein reines Bulimie-Lernen: in sich reinfressen und in der Prüfung rauskotzen. Intellektuelle gibt es da nur trotz und nicht wegen der WHU
[…] Wer das Risiko scheut, überlebt am besten. Die Leute sind ängstlich und brutal ehrgeizig, Statussymbole sind ihnen wichtig. Und man muss technokratisch veranlagt sein, sonst langweilen einen die Analysen und scheinrationalen Prognosen
Benedikt Herles im Interview mit dem Spiegel
¹Abk. f. „Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmungsführung Vallendar“
Sie nennen es „Wirtschaftsnachrichten“, aber sie reden beinahe nur von der Börse, den dortigen Stimmungen, Erwartungen, Befürchtungen der Casinokapitalisten, ganz so, als sei das die ganze Wirtschaft. Und. Ganz so, als nennten sie etwas „Mathematik“ und sprächen ständig nur vom Roulette.
Der New Yorker Wirtschaftspsychologe Paul Babiak fand heraus: Unter leitenden Angestellten kommen Psychopathen achtmal so häufig vor wie in der Gesamtbevölkerung, wo nur jeder Hundertste als gestört gilt. Nach oben streben bevorzugt Menschen, die als Kinder narzisstische Kränkungen erdulden mussten. Sie, die Ohnmächtigen von einst, wollen die Mächtigen von heute sein, wollen das Sagen haben, damit sie sich nichts sagen lassen müssen.
Spiegel Online: Meine Firma, das Irrenhaus
Mir scheint, dieser ganz besondere Menschentyp strebt nicht nur in wirtschaftlichen Unternehmungen nach oben…
Zeitgenossin: „Warum hört man eigentlich nur noch von der Wirtschaft?“
Nachtwächter: „Weil die Herrschenden und Besitzenden schon immer alles versucht haben und bis auf den heutigen Tag alles versuchen, dafür zu sorgen, dass die Armen und Ohnmächtigen die Probleme der Herrschenden und Besitzenden für ihre eigenen Probleme halten. Leider ist dieses Ansinnen immer noch erfolgreich genug.“