Warum die Menschen so oft empfindlich, zornig und völlig unnachsichtig auf Blasphemie reagieren, als ob G’tt nicht für sich selbst kämpfen könnte? Weil sich in diesen Menschen zeigt, dass sie ihren Gott selbst geschaffen haben; dass sie ihren dumpfen narzisstischen Allheitsanspruch, als dieser mit erwachendem Bewusstsein der eigenen Schwäche und Sterblichkeit zunehmend unhaltbar wurde, nicht beendet, sondern auf einen unsichtbaren Begleiter übertragen haben; weil ihr Glaube in Wirklich- und Wirksamkeit das Glaubensbekenntnis des Narzissten ist: „Am Anfang schuf ich Gott und gab ihm einen Teil meiner Allmacht, und am Ende werde ich meine Allmacht von Gott zurückfordern und Gott zur Rechenschaft ziehen“. Deshalb können sie keine Blasphemie ertragen. Es ist eine Beleidigung ihrer selbst, direkt an den Kern dieses psychomechanischen Wahns gerichtet und deshalb so tief kränkend. In der Ächtung und im staatlichen Verbot der Blasphemie spiegelt sich nichts als die politikgewordene Vergötzung der kalten, humorlosen, brutalen und dummen Psyche; und der oft fern jeder Verhältnismäßigkeit liegende, ja, justizmordende Grimm, mit dem ein solches Verbot durchgesetzt wird, ist ein klares und gruseliges Spiegelbild der hemmungslosen Mordlust ebendieser Psyche. Man kann den hohen zivilisatorischen Standard einer Gesellschaft auch daran erkennen, dass Blasphemie völlig normal und alltäglich ist. Wer seinen Gott (andere Götter stellen ja regelmäßig kein Problem dar) mit Gewalt vor Beleidigungen schützen will, will die Zivilisation abschaffen.
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„Wie zivilisiert eine Gesellschaft ist“, sagte der Vorübergehende zu seinem Zeitgenossen, „kannst du daran erkennen, in welchem Maße Feinheit, Intelligenz, Forschung und Weisheit wirksamer in der Gestaltung des Miteinanders sind als Kraft, Affekte, Personenkult und Korruption. Für die BRD sieht es nicht gut aus, und es sieht jedes Jahr ein bisschen übler aus“.
Was bei den Kindern wie ein (zum Glück meist harmloser) Hang zur Grausamkeit aussieht, ist nichts als jene Ehrlichkeit, die allen Menschen auf dem Weg zum zivilisiert lebenden Erwachsenen durch soziale Ächtung und scharfe Sanktionen abtrainiert werden soll. Die Lüge und die Heuchelei kommt notwendig mit der Zivilisation, und die Zivilisation bricht zusammen, wenn Lüge und Heuchelei aufhören. Der Rest ist Religionsgeschichte.
Der Mensch aus grauer, vorgeschichtlicher Vorzeit, der zum ersten Mal bei einer Meinungsverschiedenheit nicht zu seiner Waffe gegriffen hat, sondern ein Schimpfwort benutzte, hat das zivilisierte Miteinander von Menschen erst möglich gemacht.
Die stumpfe, psychische Brutalität setzt sich die Maske der Zivlisation auf und nennt sich „Pflichterfüllung“, „Treue“ und „Werte“, um von neuem eine ganze Nacht der Menschheit lang rasen zu können.
Er sprach so scheinbar rational von der Wichtigkeit des Naturschutzes, dass es fast überzeugend klang. Doch mit „Naturschutz“ meinte er, wann immer man das Wort vorsichtig nach seiner Bedeutung abklopfte, dass „die Natur vom Menschen getrennt“ werden müsse, dass das zivilisatorische Agieren des Menschen also nicht ein Natürliches sei. In der scheinbaren Rationalität der Forderung nach dem Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen verlarvte sich die Irrationalität des menschlichen Narzissmus, die scheinbar unausrottbare Auffassung, dass der Mensch über die gemeine Natur erhaben sei. Es war nur ein Spiegelbild des unbändigen und oft brutalen menschlichen Gestaltungsdranges, welcher der Welt seinen Stempel aufdrückte und aufdrückt; ein Spiegelbild, das sein Urbild anfeindete, aber dabei. Genau so unreflektiert wie dieses war.
In keinen anderen Bereichen scheint die menschliche Fantasie und Kreativität so groß wie in diesen beiden zu sein: beim Ausleben der geschlechtlichen Lust und beim Quälen und Ermorden anderer Menschen. Die psychologische Geschichte der Zivilisation bestand immer nur darin, die Entfaltung der Fantasie und Kreativität beim Sex zu unterdrücken und als ehrlose Sünde zu brandmarken; um auf der anderen Seite die Entfaltung der Fantasie und Kreativität beim Ermorden anderer Menschen einseitig zu fördern und zum Inbegriff des ruhmverdienenden Ehrenvollen zu machen.
Derjenige, der zum erstenmal an Stelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation.
Sigmund Freud
Im Jahre 1741 schrieb der deutsche Arzt und Wissenschaftler Georg Wilhelm Steller seine Beobachtungen nieder, die er machte, als das Schiff seiner Expedition am fünften November des besagten Jahres auf einer bis dahin unbekannten Insel strandete, die heute „Beringinsel“ genannt wird. Neben den vielen Improvisationen, die das Ringen um das nackte Überleben in dieser arktischen Winterkälte erzwang, fand Steller auch immer noch etwas Zeit, die dortigen Naturerscheinungen zu beobachten und sehr genau in seinen Notizen zu beschreiben. Da es der Gruppe der Überlebenen gelang, ein Boot zu bauen und mit diesem im Sommer des Jahres 1742 einen russischen Hafen zu erreichen, wurden die naturkundlichen Beobachtungen aus diesem bislang fremden Teil der Welt innerhalb der damaligen europäischen Zivilisation bekannt.
Unter den Arten, die Steller beschrieb, war Hydrodamalis gigas wohl die spektakulärste, sie ist heute auch unter dem Namen „Stellersche Seekuh“ bekannt. Es handelte sich um riesige Seekühe, und von dieser Art lebten damals noch einige tausend Tiere auf der Behringinsel und der benachbarten Kupferinsel. Diese Tiere wurden bis zu acht Metern lang und vermutlich vier Tonnen schwer. Es waren zwar große, aber auch völlig friedliche Tiere, die sich von Algen ernährten, welche sie mit ihren rückgebildeten Zähnen zermahlten.
Steller war der erste und der letzte Wissenschaftler, der eine lebende Riesenseekuh zu Gesicht bekommen sollte, denn es kam sogleich der andere Teil der Zivilisation hinterher. Das letzte Tier dieser Art wurde sechsundzwanzig Jahre nach der Rückkehr Stellers, im Jahre 1768, von Pelztierjägern erschlagen. Was uns heute davon geblieben ist, sind zwei Handvoll Skelette, zwei Stücke aus der dicken Haut des Tieres und die Beschreibungen eines Menschen, der in der Natur nicht nur eine geschäftliche Möglichkeit gesehen hatte.
Die Raumsonden Pioneer 10 und Pioneer 11 sind die ersten von Menschen angefertigten Objekte, die das Sonnensystem verlassen. Deshalb wurde von den Konstrukteuren an die recht geringe Wahrscheinlichkeit gedacht, dass eine außerirdische Zivilisation in vielen Jahrmillionen einmal dieses technische Artefakt unserer Kultur finden könnte, wenn sich unterdessen die Menschheit schon längst in Wohlgefallen, Sternenstaub und Vergessen aufgelöst hat. Auf den Sonden ist eine außerordentlich haltbare, vergoldete Plakette aus Aluminium angebracht, die mit einer eingravierten Zeichnung von unserer Existenz berichten soll.
Vor einer schematischen Darstellung der Sonde — diese hat der „Empfänger“ ja vor sich — ist ein nackter Mann und eine nackte Frau dargestellt. Unter dieser Darstellung befindet sich eine stark schematisierte Darstellung unseres Sonnensystemes und links von dieser Zeichnung eine Positionsangabe unserer Sonne, die mithilfe der Positionen von 14 Pulsaren und dem Abstand vom Zentrum der Galaxie mitgeteilt wird. Der dritte Planet im schematischen Sonnensystem ist hervorgehoben, von ihm aus geht die Sonde auf Reisen. Da zu den Pulsaren auch ihre gegenwärtige Frequenz angegeben wird und sich diese Frequenzen im Laufe der Zeit reduzieren, ist auch der ungefähre Zeitpunkt des Sondenstartes ermittelbar, wenn dieses Objekt einmal gefunden und die Botschaft verstanden wird. Die numerischen Angaben sind im Binärsystem gegeben, als Bezugsgröße dient der ebenfalls in Form einer Zeichnung dargestellte Hyperfeinstruktur-Übergang eines Wasserstoffatomes.
Es ist ein in seiner Verzweiflung und Hilflosigkeit geradezu rührender Versuch, etwas von der vergänglichen menschlichen Zivilisation in den kalten Kosmos hinein mitzuteilen. Dieser Versuch zeigt vor allem, dass die Menschen sich keine andere Lebensform als Menschen vorstellen können, deshalb wird in dieser Zweckgrafik eine Form der Wahrnehmung vorausgesetzt, die spezifisch menschlich ist. Ich würde keine hohe Wette darauf halten, dass eine gänzlich unirdische Intelligenz diese Zeichnung überhaupt als eine Form der Mitteilung erkennen kann, und ob die zweidimensionale Projektion der Wirklichkeit in Form einer Zeichnung verständlich ist, darf ebenfalls bezweifelt werden. (Schon die grundlegende Annahme, dass völlig anders entstandene Wesen in ihrer Wahrnehmung ähnlich stark visuell wie Menschen geprägt sein sollten, ist fragwürdig.) Wenn dieser Teil des Kommunikationskanales aber wider meiner Erwartung gut gewählt sein sollte, denn dürfte die im Menschenpaar dargestellte Zweigeschlechtlichkeit der Menschheit für einiges Rätselraten sorgen, und die erhobene Hand des Mannes wird gewiss nicht als ein Gruß erkannt werden, sondern eher Spekulationen um künstliche Gliedmaßen nähren. Die für uns so leicht verständliche Darstellung des Sonnensystemes wird ebenfalls ihre Rätsel aufgeben, vor allem werden sich die Empfänger fragen, wieso eigentlich alle dargestellten Objekte den gleichen Abstand voneinander haben und wieso eines dieser Objekte — es soll der Saturn mit seinem wunderschönen Ringsystem sein — in deutlicher Weise durchgestrichen ist, und ob das wohl darauf hindeute, dass wir dieses Objekt abgebaut oder vernichtet hätten. Und. Die verwendete Metapher des Pfeiles, um die Richtung der Sonde anzudeuten, ist ebenfalls ein Kandidat für schwere Missverständnisse. Was immer eine außerirdische Intelligenz in diese Grafik hineindeuten wird — das Objekt wird ja wenigstens sicher als künstlich erkannt, wenn es überhaupt im weiten Nichts gefunden wird, und es wird deshalb wohl auch untersucht werden und zu allerlei Spekulationen Anlass geben — es wird beinahe nichts mit dem zu tun haben, was wir damit sagen wollten. Die warme Hirnsucht der Wissenschaftler, die mit den Pioneer-Sonden das erste Mal richtige Raumfahrt betrieben haben, über diesen Kanal ein Zeichen für die Existenz der Menschheit zu setzen, läuft ins Leere. Die Menschheit wird unerkannt aussterben. Zum Glück wird das Aussterben auf diese Weise nicht noch schmerzlicher.
Wenn diese Platte überhaupt an jemanden etwas mitteilen kann, denn an die Menschen, die diese Platte in den Weltraum geschossen haben. Und. Das ist die Mitteilung, wie fremd wir wirklich im Raume sind, wie sehr wir nur zur vertrauten Erde gehören. Es wäre viel gewonnen, wenn dieser Teil der Botschaft bei allen Menschen ankäme und sie dazu brächte, ihre planetare Heimat nicht länger unter der hirntoten Ideologie eines unbegrenzten Wachstums bis zur Vernichtung auszubeuten. Aber. Auch diese Kommunikation scheint hoffnungslos. Allein schon deshalb. Hoffnungslos, weil die einzige und sehr hitzig geführte Diskussion, die damals in den USA am Thema dieser Platte entbrannte. Nur. Das eine Thema kannte, ob man die menschlichen Geschlechtsteile denn so unverhüllt den Außerirdischen zeigen könnte.
Wenn eine Partei oder ein Politiker mit den Mitteln der Werbung „vermarktet“ werden, wenn Parteien oder Politiker also methodisch und „inhaltlich“ in gleicher Weise wie ein Joghurt, ein Hundefutter, ein Toilettenpapier oder eine andere abstrakte Ware angepriesen werden, denn ist es nicht weiter verwunderlich, dass politische Billigware einen beachtlichen Erfolg am „Markt“ erzielen kann. Wie. Jede andere Billigware auch. Der Kauf in einem so genannten „Discounter“, der ja vor allem damit wirbt, dass dort die Waren nur wenig Geld kosten, er ist ein Spiegelbild der zunehmenden materiellen Armut; und das Kreuz beim billig und mit Stammtischparolen beworbenen politischen Angebot ist ein Spiegelbild der zunehmenden intellektuellen Armut. Beide Formen der Armut. Sind von einer um ihre Privilegien ringenden herrschenden Klasse gewollt und werden von ihr mit aller Gewalt ausgebreitet.