„Die Antwort auf die Frage, ob eine schwarze Katze wirklich Unglück bringt“, sagte der Vorübergehende zu seinem tief abergläubischen Zeitgenossen, „hängt ganz davon ab, ob du ein Mensch oder eine Maus bist“.
Tag Archive: Aberglaube
So lange beinahe jede größere Zeitung und jedes größere Magazin regelmäßig ein Horoskop abdruckt, als sei das eine wichtige Information für die Leser; so lange sogar der Videotext des mit Quasi-Wohnungssteuern finanzierten Parteienstaatsfernsehens ZDF mit einem tagesaktuellen Horoskop bestückt wird; so lange braucht sich in der Bundesrepublik Deutschland auch niemand über Wissenschaftsfeindlichkeit, Irrationalität, Aberglauben und Dummheit zu verwundern. Sie fallen direkt mit dieser babylonischen Mantik aus dem contentindustriellen Journalismus als fahler, falscher Sternenschimmer in jedes Gehirn. Jene Journalisten, die sich dann in diesen Blättern und Sendern über Irrationalität, Aberglauben und Dummheit beklagen — eine Haltung, die während der Corona-Epidemie sehr üblich und alltäglich geworden ist — oder sie sogar in glanzlosen Glossen verspotten, merken gar nicht, was für absurd und lächerlich aus dem Sumpf der Werbevermarktung und inhaltlichen Beliebigkeit winkende Witzfiguren sie schon längst geworden sind.
„Natürlich bringt eine schwarze Katze Unglück“, sagte der Vorübergehende zu seinem abergläubischen Zeitgenossen, „aber vor allem für Vögel und Mäuse“.
Die täglichen Börsenberichte in Presse und Glotze in ihrer Sammlung tagesaktuell erstellter, nichts-sagender und völlig faktenfreier Phrasen über Gefühl, Stimmung und Möglichkeiten sind nichts weiter als der babylonische Vollhöllenhokuspokus der Astrologie für Menschen, deren „Sterne“ längst die Scheine geworden sind.
Der Vorübergehende sagte zu seinem kiffenden Zeitgenossen, der seine Grippe mit einem homöopathischen Mittel „bekämpfte“, um nicht so viel „Chemie“ in sich hineinzuschütten: „Wenn die gewünschte Wirksamkeit der Substanzen durch das homöopathische Verdünnen so vorteilhaft zum Tragen gebracht wird, und wenn es dabei kaum zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen kann, wie du es mir gerade erzählt hast, warum eigentlich, wenn das alles so große Vorteile hat… warum nimmst du dann nicht einfach homöopathische Drogen?“
Die Prognosen über die Konjunktur sind nur Bastardkinder der Horoskope; scheinbare Gelehrigkeit und Ritual bei der Verkündung dienen dem gleichen psychischen Zweck wie das Fachvokabular und Getue des Sterndeuters. Sie sind ein exzellentes Geschäft dort, wo man gern wettet und dem Getriebe des Kosmos nur entreißen möchte, welches Pferd beim Rennen siegreich sein wird — bevor man sich gleichgültig vom Kosmos wieder abwendet, um sich wichtigerem zuzuwenden: Dem Genuss des zu Geld gewordenen Vorteils, den man sich so errungen hat. Wo „Wirtschaftsweise“ die Politik bestimmen und in ihren meist wenig aussagekräftigen Verlautbarungen zum Thema der Journaille und der Nachrichten werden, da hat sich der Verstand noch nicht über eine Psyche erhoben, die in jeder Erscheinung orakeln lassen wollte. Und. Wo solches als „wirtschaftliche Vernunft“ gilt, möchte man die Dummheit gar nicht mehr kennenlernen.
Als der Esoteriker dem Vorübergehenden seine alles in allem schon recht komplizierte Ernährung erklärte, bemerkte der Vorübergehende im Laufe der Zeit, dass er es so genau gar nicht wissen wollte, unterbrach den Redeschwall des Zeitgenossen aber aus Höflichkeit mit einer scheinbar interessierten Frage: „Wozu machst du das?“ — „Um den Körper zu reinigen“, antwortete der Esoteriker mit einem sehr gewissen Klang in seiner Stimme; ganz wie einer, der nicht mehr sein Körper ist, sondern sich des Körpers nur wie einer Ware bedient. Und der Vorübergehende sagte: „Und ich Depp mache das immer unter der Dusche.“
Wer einen Weg sucht, wird einen Weg finden. Wer nicht sucht, findet Ausreden.
Es gäbe heute wohl weitaus weniger Menschen, die so verrückt nach Magie, Okkultismus und Spiritismus sind, wenn es nicht eine gesellschaftlich anerkannte Form der Religion gäbe, die Magie (Umwandlung von Oblaten in Fleisch), Okkultismus (Anrufung allerlei verborgener Wesenheiten in zwangsneurotisch anmutenden Ritualen, auf das diese doch hier zaubern und die Wünsche der Anrufer erfüllen mögen) und Spiritismus (unter anderem mit voll entwickeltem Totenkult) offen und unter dem Vorwand des „Willens Gottes“ praktiziert — und es ist durchaus kein Zufall, dass mit größerer Nähe zum Einflussbereich der römisch-katholischen oder der diversen, in ihrem faulen Zauber genau so argen orthodoxen Kirchen eine größere Bereitschaft der Menschen einher geht, allerhand obskures Zeug zu glauben und zu praktizieren. Das Vorbild der Tarotkarte ist die Ikone; das Vorbild des kalten, mechanischen Weltbildes der Astrologie ist der kalte, mechanische Ablauf des Kirchenjahres; die recht künstliche Sprache der Obskurantisten weist auf eine noch gar nicht so lang vergangene Zeit zurück, in der die kirchliche Magie in einer toten und für die Menschen unverständlichen Sprache praktiziert wurde; der massenhaft vermarktete esoterische Tinnef* spiegelt die Inflation der hl. Reliquien** und den Kult darum wider. Alle Ströme des direkt gegen die höheren Funktionen des Verstandes gerichteten Unfugs fließen aus der Quelle der etablierten und immer noch staatstragenden Religion. Und. Legen damit Zeugnis über diese Quelle ab. Die still zugewiesene und laut angenommene Aufgabe der Kirche im Staatsgefüge — und das gilt für jede Kirche und jede Religion im Staatsgefüge — ist es, den Wunsch der ausgebeuteten und hoffnungslosen Mehrheit der Menschen nach einem besseren, weniger bedrückten Leben nicht zu Taten gegen die Profiteure ihres Elends, sondern zu Ersatzhandlungen werden zu lassen; die Magie, der Okkultismus und der Spiritismus kommen dabei von ganz allein heraus.
*Esoterischer Tinnef: Von der Drahtpyramide, in der die Rasierklingen länger scharf bleiben (ein toller Trick, den nicht einmal die für ihre Pyramiden bekannten alten Ägypter kannten…) über den Magneten für den Wasserschlauch, der das Wasser für die Waschmaschine entkalkt bis hin zu den Steinen, Büchern, Symbolen, Engelsfiguren — es ist alles industriell hergestellte Massenware, billige und wirkungslose Kitschprodukte für die Psyche, die teuer verkauft werden. Es ist auch ein in die Zukunft schreiendes Dokument der derzeitigen intellektuellen und seelischen Verrohung.
**Hl. Reliquien: Es ist verblüffend, wie viele Schädel einige Heilige hatten, und es ist auch verblüffend, wie sehr Menschen geneigt sind, Objekte, die erst Jahrhunderte nach dem eigentlichen Ereignis unter meist fragwürdigen Umständen irgendwo aufgetaucht sind, allein auf Grundlage von Hörensagen für echt zu halten und einen Kult um diese vergötzten Dinge zu betreiben. Demnächst wird einmal mehr ein angebliches Grabtuch vor den glaubensbereiten Augen aufgespannt, das damals auf Jesus aus Nazaret gelegen haben soll und seltsame, wie gemalt aussehende Abdrücke davon bekommen hat. Das wird gewiss von den Zeitungen und den flackergeilen Sensationsmagazinen der Glotze — dort ganz besonders besoffen vom Halbdunkel, dem Weihrauch und dem ständig auf der Klaviatur der Nerven spielenden Psychogeklimper im Hintergrunde — breit gewürdigt werden, damit auch alle davon breit werden. Und obwohl sich bislang bei Datierungen herausgestellt hat, dass dieses Tuch ein paar Jahrhunderte zu jung ist, um das „echte Tuch“ zu sein, dass es sich also um eine mittelalterliche Fälschung handelt, werden jede Menge Indizien für die Echtheit in der gewöhnlichen Einseitigkeit solcher Machwerke gegeben werden, man ist ja christlich hier. So eine Reliquie wird da doch nicht angezweifelt, zumal man damit auch so gute Geschäfte machen kann, ganz so, wie sich mit jeder Irrationalität gute Geschäfte machen lassen. Deshalb gibt es auch so viele „Splitter vom hl. Kreuz“, dass man aus ihnen eine ganze Flotte bauen könnte. Nur ein bisschen Hirn, das hat keiner von den ganzen Heiligen hinterlassen, und dabei wäre das in der Kirche so dringend nötig.
Gruß an Dia
Ein Aberglaube ist dann kein Aberglaube mehr, wenn alle daran glauben. Dann ist es nämlich die Religion.
Farin Urlaub
Papst Benedikt XVI hat auf dem Petersplatz in Rom ein paar lateinische Worte laut und technisch verstärkt abgelesen, und jeder, der das gesehen oder gehört oder über das Internet verfolgt hat und den „rechten Glauben“ hat, ist durch das Hören dieser für die meisten Menschen unverständlichen Worte von allen Sünden befreit worden. Und. Uri Geller konnte Löffel und Gabeln mit seinen psychischen Kräftn verbiegen.
Der Unterschied zwischen den beiden ist: Bei Uri Geller konnte man wenigstens einen Effekt an den Löffeln und Gabeln sehen, so dass man sich die Illusion besser gefallen lassen konnte.
Die gelehrten Menschen des Mittelalters hatten eine Theorie, um was es sich bei den gelegentlich am Himmel auftauchenden Kometen handele. Nach dieser Theorie besteht ein Komet aus den aufsteigenden Dämpfen menschlicher Sünden und Schlechtigkeiten und wird durch den glühenden Zorn Gottes zum Leuchten gebracht. Sie hätten selbst bemerken müssen, dass ihre Theorie falsch ist, denn schon ein einfacher Blick zum Himmel zeigt, dass er nicht ständig voller Kometen hängt.
Quelle: Spr. 27, 14