„Wenn man sich von anderen Menschen nicht mehr respektlos bis beleidigend behandeln lassen will“, sagte der Vorübergehende lächelnd zu seinem Zeitgenossen, „dann fangen die Leute schon nach kurzer Zeit damit an, einen als ’schwierig‘ zu bezeichnen“.
Tag Archive: Würde
„Es ist ja nicht so, dass die Journalisten überhaupt keinen Begriff von Würde hätten“, sagte der Vorübergehende zum Blinden mit seinen sehenden Augen, „schau nur, sie haben ihren Zuschauern und Zulesern einen ganzen Lastwagen voller Leichen von Flüchtlingen gezeigt, und sie haben keinen einzigen der toten Menschen unkenntlich gemacht. Der Begriff des Journalisten von der Würde spiegelt sich dennoch darin, dass sie das auf dem Lkw aufgedruckte Firmenlogo verpixelt haben“.
Nein, ich bringe das Foto nicht…
„Würde“, das ist dieser Konjunktiv in „Ich würde euch ja gern wie Menschen behandeln, aber ich bin Journalist und muss Content liefern“.
„Auch, wenn die Mühe von Ermatteten mit der Schwierigkeit verwechselt wird“, sagte der Vorübergehende zu einem unbelehrbar Arbeitsgläubigen, „ist es nicht schwierig, etwas zu tun. Jeder Sklave kann das, und auch vom Menschen dafür dressierte Tiere bekommen das hin. Schwieirg ist es, einen Entschluss zu fassen und daraufhin das, was man tut, in eigener Verantwortung zu tun. Das Bewältigen dieser Schwierigkeit führt zu derjenigen Würde, die bei der gewöhnlichen Ausführung von Arbeiten so leicht verloren gehen kann.“
Man konnte die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Wochen für einen Staat halten, in dem in der veröffentlichten Meinung ein Amt wie das des Bundespräsidenten mehr Würde hat als viele Menschen in diesem Staate — etwa als Bezieher von Hartz-IV-Geldern, Bewohner von Alters- und Pflegeheimen oder Patienten in psychiatrischen Kliniken.
Man merkt es den großen christlichen Kirchen in der BR Deutschland an, dass da schon lange keine „große Furcht“ mehr ist, dass sie genau wissen, dass „ihr“ Gott nicht mehr auf Heuchelei und Lüge reagiert, indem er die Heuchler und Lügner einfach vor versammelter Gemeinde bloßstellt und effektvoll mordet. Dies mag widerspiegeln, dass diese Kirchen sich längst den Satan zum Gotte erkoren haben, oder doch wenigstens seinen glitzergüldnen Bastardsohn, den Mammon.
Die nützliche und kleinhaltende Todesangst vor Gott ist für die Anderen, nicht für die kirchlichen Heuchler und ihr Geschäft.
Wenn der Vorübergehende sein schattenhaft dünstelndes Dasein durch die dröhnvolle Stadt schleppt, muss er an vielen Schaufenstern vorübergehen, in denen sich kirchliche und kirchennahe Organisationen mit Hilfe der Schergen Satans, der bildbunten Brut der Werber, zur Schau stellen. In diesen zur Schau stellenden Fenstern warmgetünchter Hochglanz von glücklichen Alten und Kranken, fotografiert durch den Lächelfilter der Reklamelüge, und zu diesen Bildern kurze, hehre Wortfetzen von Pflege und Geborgenheit, zu stanzen einen Eindruck von sozialem Engagement im Kopfe der weniger Bewussten.
Niemand soll sich darüber verwundern, dass es diese Läden erst gibt, seit die so genannte „Pflegeversicherung“ aus solchem Tun einen guten deal gemacht hat. Nein! Engagiert und „sozial“ soll es aussehen, was da getrieben wird, wie ein Akt selbstloser Liebe.
Das sieht der Vorübergehende und spürt den unwiderstehlichen Reiz und würde sich zur Erleichterung zu gern erbrechen, wenn er doch nur etwas im Magen hätte. Denn er kennt die andere Seite, die nicht so glänzt, er weiß aus persönlichen Gesprächen von flugs angelernten Menschen, die sich in erzwungener, staatlicher Hartz-IV-Elendsarbeit für einen Nichtlohn in der so genannten „Pflege“ verschleißen müssen, damit auch ja der Profit stimme, er hat die ausgebildeten Schwestern kennengelernt, die einen befristeten Vertrag als Hilfsschwester nach dem anderen kriegen, immer mit dem mündlich gegebenen Versprechen einer anschließenden Übernahme in einer festen Anstellung und so knebelnd gehalten, dass sie sich noch krank zur unterbezahlten Maloche schleppen müssen, um ja nicht kurzfristig gekündigt zu werden und vor dem völligen persönlichen Nichts zu stehen. Er weiß von ständiger Verfügbarkeit, Einsparungen am Personal, selbstverständlich erwarteten, unbezahlten Überstunden und der völligen Unmöglichkeit einer persönlichen Lebensplanung im Zustand der totalen Ausbeutung und der täglichen, telefonischen Abrufbarket, die selbst noch im „Urlaub“ erwartet wird. Er hat mit diesen vom christlichen Pflegemoloch zu Material gemachten Menschen zu viele Tränen geweint, um angesichts des Zynismus und der werbenden Kälte dieses lichtscheuen Gesindels keinen Ekel zu empfinden. Und. Er ist sich sicher, dass auch die „Pflegefälle“ wie Material behandelt werden, weil es in diesem ganzen, asozialen Treiben der Kirchen und ihrer Geschäftsstellen nur auf eines ankommt: Auf den Reibach.
Und dies alles wissend findet der Vorübergehende es schon manchmal sehr schade, dass die zynischen, geldgeilen, pfäffischen Heuchler ohne jeglichen Respekt vor den missbrauchten Menschen nicht einfach wie in gewissen biblischen Berichten tot umkippen.
Quelle des Scans: Die Bibel, Apostelgeschichte, 5. Kapitel, Verse 1 bis 5, revidierte Luther-Übersetzung von 1956. Sorry für den heute schwer lesbaren Fraktursatz, aber ich habe gerade keine andere Bibel zur Hand — zudem zeigt dieses Schriftbild trefflich, wie obsolet dieses Buch im institutionalisierten Christentum wirklich ist. Mit Gruß an I. und C.
Nothing eases suffering like human touch.
Letzte Worte von Robert James „Bobby“ Fischer
Bevor ich sie hörte, roch ich sie. Ein würziger Duft, den ich schon lange nicht mehr in die Nase bekam. Einige hundert Meter weiter auf dem Fahrrad längs des recht abseitigen Weges, und ich hörte auch das charakteristische Blöken einer Herde Schafe. Sie trotteten artgemäß langsam über die Wiese und verwandelten die in kauenden Mündern verschwindenden Kräuter und Gräser in Kotklümpchen.
Bei den Schafen ein Mann, dessen Gesicht verriet, dass er regelmäßig draußen arbeitet. Ich grüßte den Schäfer. Und der Schäfer grüßte zurück, prostete mir mit der Flasche Alsterwasser zu, die er in der Hand hielt und fragte mich mit einer Stimme, die gleichermaßen laut wie deprimiert klang, ob ich eine Bremse hätte. Das demonstrierte ich gern auf der Stelle, meine schlecht eingestellte Bremse brachte das Rad unter herzhaftem Quietschen genau neben dem Schäfer zum stehen. Ich fragte, warum er das fragte, ob ich auf dem Weg wohl noch einige freilaufende Schafe zu erwarten hätte. Und er antwortete, dass keine Schafe mehr auf dem Weg seien, dass er mich aber um eine „kleine Spende“ bitten möchte. Ja, da war ein Schäfer, der ganz offensichtlich jeden Tag viele Stunden arbeitete, und der dennoch die Menschen um Geld anbettelte. Ich erklärte ihn, dass ich selbst vom Betteln lebe und gerade noch ein paar Cent in der Tasche hätte. Hinter mir kam ein weiterer Radfahrer, einer, dessen Gefährt nicht wie das Meinige nach einem angerosteten Haufen Schrott von eher zweckmäßiger Funktion aussah, sondern den Eindruck erweckte, dass sein Fahrer richtig viel Geld in sein Hobby Radfahren investierte. Dieser Radfahrer grüßte auf dem Gruß des Schäfers hin gar nicht erst zurück, und als der Schäfer ihm bat, anzuhalten, fuhr er um so schneller weiter. „Es sind immer die Falschen, die anhalten“, sagte der Schäfer, „immer welche, die selbst nichts haben. Was soll ich denn machen? Von den Schafen kann ich nicht mehr leben, und den Leuten ist das völlig gleichgültig, wenn ich mit den Viechern verrecke.“
Er war geübt darin, die Tränen zu unterdrücken, aber das Beben in der Stimme war unüberhörbar. Ich ging langsam weiter und sah zu, wie ich selbst den heutigen Tag überstehe. Die kurze Zeit der gemeinsam erlebten Vereinsamung im Elend war vorüber.
Es wird dunkel. Und. Unentwegt blöken die Schafe.
Wie aufmerksam er in diesem Fleischmarkt doch die Menschen betrachtet hat, ohne dem Treiben seinen faulen und doch wirksamen Zauber zu nehmen; wie zielsicher er mit seinen oft etwas grob wirkenden Strichen die verletzliche Person noch hinter der glattesten Fassade einer Nutte herausgearbeitet hat; wie klar er selbst dort noch den Kern des in der täglichen Mühle steckenden Wesens gesehen hat, wo sich die Seele an liebsten schamvoll hinter dem Geschlecht versteckte! In fast jedem seiner Bilder wird mehr von dem fühlbar, was vom Falschgeld des Wortes „Menschenwürde“ angesichts eines beschädigten Daseins versprochen wird, als in allen vor aufgesetzter und unverbindlicher Ethik strotzenden politischen und religiösen Entwürfen in Predigten und sonstigen Sonntagsreden.