Dieses Video habe ich vor einigen Jahren für eine Veranstaltung der White Darkness gemacht. Es wurde im Rahmen einer Klangvernissage präsentiert, bei der wir einen DVD-Player zum Abspielen der einzelnen Tracks verwendeten. Bei den meisten Stücken wurde nur eine einfache Texttafel mit dem Namen des Künstlers und dem Titel des Werkes sichtbar, während ein wandernder Balken einen Anhaltspunkt gab, wie lange dieses Stück noch laufen wird. (Einen Eindruck dieser Präsentationsform kann man beim Anfang des Videos zum Manifest der hannoverschen Schule bekommen.) Meine Stücke liefen inmitten dieses recht langen Blocks, und bei einigen dieser Stücke wurden zur Überraschung des Publikums auch „richtige“ Videos eingeblendet. Das inhaltliche Niveau dieser Videos reichte von Dada bis „ambitioniert“, aber es war gerade das Video zu „Konkrete Poesie“, welches bei den meisten Besuchern den tiefsten Eindruck hinterließ, wie mir in den anschließenden Gesprächen zugetragen wurde.

YouTube-Direktlink auf Konkrete Poesie

Da ich gerade einen kleinen Rückblick auf die letzten Jahre meines Schaffens begonnen habe — manchmal muss man eben auch zur Besinnung kommen — drängt es mich, ein paar Worte zu diesem Video zu schreiben, von dessen Wirkung ich selbst überrascht wurde. Dies nicht zuletzt, weil ich immer noch gelegentlich Anfragen über Mail bekomme, „was ich mir eigentlich dabei gedacht habe“…  😉

Zur Entstehung

Es ist nicht gerade so, dass ich gute Arbeitsmöglichkeiten habe, wenn ich mich an ein solches Projekt setze. In der Regel ist mein gesamtes Arbeiten davon geprägt, dass ich das beste aus den verfügbaren Möglichkeiten mache und viel improvisieren muss. Die Computer, an denen ich meine Werke ausarbeite, stehen mir nicht regelmäßig zur Verfügung, sie sind auch oft nicht von mir selbst eingerichtet und deshalb zuweilen auch recht fremde Werkzeuge. Wenn ich meine Arbeit an einem Werk unterbrechen muss, ist es oft eine Unterbrechung für Wochen oder gar Monate; deshalb strebe ich immer eher nach einem schnellen, zielgerichten Vorgehen, das meine Ideen schon nach kurzer Zeit in einem brauchbarem Zustand zu einem Werk werden lässt; gewisse Unvollkommeheiten, die sich dabei in die Werke einschleichen, nehme ich in Kauf. Nach außen erweckt es den Anschein einer großen Mühelosigkeit und Geschwindigkeit, wenn ich scheinbar in wenigen Stunden ein Musikstück „fertig“ kriege, in Wirklichkeit ist es jedoch viel Mühe in der inneren Vorbereitung und eine von meinen Lebensumständen erzwungene Langsamkeit.

Die White Darkness rückte näher, und den größten Teil der Musik hatte ich zum Glück schon fertig. Es versprach also zur Abwechslung einmal eine Veranstaltung zu werden, die in der Vorbereitung keinen großen Stress verursacht. Der Stress kam aber trotzdem, wie immer. Denn einige Tage vorher erfuhr ich, dass auch Videos präsentiert werden sollten, und dass auch ich nach Möglichkeit ein bisschen Videomaterial beisteuern sollte.

Ich bin nicht gerade ein visuell geprägter Mensch, und bewegte Bilder sind mir sogar ein besonderer Gräuel. Die Bedienung einer Videoschnitt-Software löst bei mir folglich ein Gefühl von „fremder Welt“ aus, wie es viele andere Menschen wohl entwickelten, sähen sie, wie ich für gewöhnlich am Computer zu arbeiten pflege. Aber dennoch arbeitete ich mich ganz schnell ein und stümperte flugs zwei Videos hin, eines zum „Manifest der Hannoverschen Schule“ und ein zweites zu „Die Bombe“.

Daraufhin hatte ich eine Empfindung, die ich wirklich hasse. Ich war völlig unzufrieden mit meinen eigenen Werken, sie erschienen mir wie eine Pflichterfüllung, so dass ich dachte, dass ich in dieser Haltung auch einer Lohnarbeit nachgehen könnte, bei der man ja fürs Tätigwerden bezahlt wird und nicht für die Qualität des Hervorgebrachten oder die Effizienz der eigenen Arbeit. Es war eine Haltung aus einer Zeit, die ich längst hinter mir gelassen haben wollte, und deshalb beschloss ich, noch ein drittes Video zu machen, eines, dass mich nach seinem Abschluss zufriedener macht und besser fühlen lässt.

So entstand das Projekt „Konkrete Poesie“. Es sollte etwas von der Entfremdung, Einsamkeit, Denaturierung fühlbar machen, die nicht nur meinem Dasein ihren Stempel aufgedrückt hat.

Die Musik

Dieses Stück war noch nicht völlig fertig, als ich mit dem Projekt begann. Es lag als grober Entwurf auf einer Festplatte herum und erinnerte in seiner von gefilterten Rechtecksignalen geprägten klanglichen Form eher an frühe Stücke von Anne Clarke, nur eben ohne gesprochenen Text. Da ich von vornherein nicht die Absicht hatte, ein musikalisch abwechslungsreiches Stück zu machen, beließ ich die Monotonie des ersten Entwurfes fast unverändert und konzentrierte mich auch die Bearbeitung der verwendeten Klänge. Diese behielten dabei zum größten ihren synthetisch anmutenden Charakter.

Die perkussiven Geräusche entstammen meiner „üblichen Sammlung von Samples“, zum Teil handelt es sich um bearbeitete Störgeräusche. Der dazu laufende Bass ist völlig synthetisch. Das leise, verhallte Klacken am Anfang des Stückes entstand beispielsweise, als ich während einer Aufnahme ein Gerät ausschaltete, es ist ein Geräusch, das eher der Erwartung eines Endes, eines Ausschaltens entspricht. Es beginnt mit dem Ende, was darauf folgt, ist eine Wiederholung der immergleichen Abläufe.

Die Bilder

Alle Videoaufnahmen wurden tatsächlich mit einem Handy gemacht — dies nicht etwa, weil ich eine Neigung zum „trashigen“ Erscheinungsbild hatte oder damit etwas Besonderes ausdrücken wollte, sondern weil mir zum Zeitpunkt der Erstellung kein anderes Equipment zur Verfügung stand. Aber als ich diese Aufnahmen sah, empfand ich die miese Qualität dieser Bilder zunehmend auch als einen Reiz. Vor allem bei der Projektion auf eine große Leinwand während der Veranstaltung entstand so ein Eindruck, den man sonst mit aufwändiger Bearbeitung nicht leicht reproduzieren könnte. Der offenbar digitale Charakter der Bilder, die Artefakte der Kompression, die Auslöschung der Einzelheiten im Klötzchenrauschen; all dieses fügte sich überraschend gut in das Werk ein. Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass ich mit besserer Ausstattung etwas zusätzliches für die Wirkung des Werkes hätte tun können.

Der ganze Kürzstfilm besteht aus sehr plakativen Bildern und Überlagerungen solcher Bilder. Diese haben die Tendenz, zum Ende des Videos hin eine immer geringere Informatiosdichte zu enthalten. Was sie mitteilen sollen, eröffnet sich bei einer Betrachtung dieser einzelnen Elemente.

Testbild — Ich habe zwar in den Gesprächen auf der Veranstaltung schelmisch gesagt, dass ich immer schon einmal ein Video mit dem Testbild beginnen lassen wollte, aber tatsächlich nehme ich hier im Bild den klanglichen Eindruck vom „Ende“ auf, vom „Sendeschluss“, den ja von den jüngeren Menschen kaum jemand mehr kennt. Es handelt sich um ein sehr altes, optisches Testbild eines schwedischen Senders, das ich auch gewählt habe, damit es einen sofortigen Eindruck von Fremdheit erwecke. Da optische Testbilder — es sind im Gegensatz zu den heute verwendeten, elektronisch generierten Testbildern bedruckte Tafeln, auf die eine Kamera gehalten wird — seit den Siebziger Jahren nicht mehr in Gebrauch sind, werden die typischen Elemente und ihre Anordnung auf einem solchen Testbild für die meisten Menschen völlig ungewohnt sein. Der schwedische Ortsname „Örnsköldvik“ macht es auch nicht vertrauter.

See und Uhr — Eine recht altmodische Küchenuhr überlagert das recht farblos gemachte Bild eines kleinen Sees. Die Uhrzeit ist halb zwei, mitten am Tage, am Arbeitstage, der See ist von der Uhr überschattet, verdeckt, schimmert bestenfalls als graue Erinnerung durch. Die abstrakte Zeit fordert ihren Tribut. Ein neckisches kleines Detail ist es, dass auf dem Ziffernblatt der Uhr das Wort „Anker“ zu lesen ist.

Grün und Kuh — Ein absurd grünstichiges Bild wildwachsender Sträucher und Kräuter, wie eine plastikhafte Karikatur der natürlichen Umwelt. Dieses Bild verwandelt sich in ein Detail von einer Milchpackung, die in diesem grotesken Zusammenhang ebenfalls den Eindruck der Karikatur einer Kuh erweckt. Alles ist monströs, fern, fremd; das von einem Werber gezeichnete, freundliche Gesicht der Kuh kommt aus einem millionenfachen Stempel.

In virtuellen Räumen — Im nächsten Schritt wird das Bild zunächst völlig schwarz-weiß. Ich sitze in scheinbar angestrengt nachdenklicher Pose herum, dieses Bild wird überlagert von sinnlosen, an Blüten erinnernden geometrischen Formen, die auf der Fläches des Bildes umhertanzen. Hierüber entfaltet sich ein grelles, buntes Fraktal als Sinnbild für die Produkte, die ein beschädigtes Leben hervorbringen kann. Dieses Fraktal überlagert mich fast völlig.

Die Erschöpften im Draußen — Zwei Typen, Frank und ich, sitzen scheinbar müde und erschöpft bei schönem Wetter auf einer Bank, völlig teilnahmslos im Angesicht des offensichtlich schönen Wetters. Dieses Bild wird überlagert von einem Ballon, der gelb und mit einer Werbung für die Deutsche Post am Himmel hängt. Einer der beiden schaut schließlich nach oben. Selbst der freie, blaue Himmel ist zur Werbefläche geworden.

Lora — Ein völlig verwackeltes Bild von einem Papagei in einer Wohnung, der von abstrakten, unscharfen Farbflächen überlagert wird. Im Hintergrund läuft ein Fernseher, das Zimmer ist dunkel. Der Vogel fliegt nicht mehr frei umher, er ist domestiziert, ein Haustier zu Nutzen des Menschen.

Die Arbeit — Zwei Bilder sind überlagert, beide in schwarz-weiß. Das eine Bild zeigt mich beim angestrengten Arbeiten, vor einem Computer sitzend, im Hintergrund ein kuscheliger Linux-Pinguin, der in der Ecke steht. Das zweite Bild zeigt meine Hand, wie sie von der Tastatur zur Maus und wieder zurück zur Tastatur wechselt. Dabei schwenkt die Kamera kurz auf eine Kaffeetasse als Symbol einer wichtigen Droge für Menschen, die ihre Lebensabläufe an unermüdliche Maschinen anpassen müssen und über eine Medikamentenpackung mit Fluoxetin. Dies ist ein beliebtes und so häufig genommenes Antidepressivum, dass die Abbauprodukte dieses Medikamentes in Großbritannien und den USA inzwischen vielerorts schon das Grundwasser belasten. Das von der Welt entfremdete und kaum noch zum Wirken in der Welt fähige Leben wirft sich in ein und unterwirft sich einem Leben in von Maschinen geprägten Welten; der Preis ist hoch, der Schaden unübersehbar.

Die Front und die Kerze — Die kalte Häuserfront eines Wohnhauses aus den Neunziger Jahren wird von einer fast kitschig aussehenden Kerzenflamme überlagert. Das Licht ist innen, nach draußen dringt nichts mehr. Und das innere Licht hat den Charakter einer eher kitschigen Dekoration angenommen.

Die geometrische Auflösung — Das Bild der Kerze wird noch einmal aufgegriffen, sie ist jetzt völlig überbelichtet, kaum noch von einer Glühlampe zu unterscheiden und löst sich durch Überlagerung in abstrakten, geometrischen Mustern in grellen, unnatürlichen Farben auf. Selbst das Licht ist noch ein absurdes Kaleidoskop künstlicher Formen, ein dauerhafter trip.

Die Schritte — Einfaches Bild von Füßen, die sich auf einem wenig befestigten Weg draußen bewegen, in ähnlicher Weise farbreduziert und damit grau gemacht wie das Eingangsbild von der Uhr und dem See. Gehen diese Füße zum eingangs gezeigten See?

Das grelle Fenster — Ein völlig überbelichteter Blick aus einem Fenster, alles ist von einem merkwürdig solide wirkendem Licht durchflutet. Eine Litfaßsäule, ein geparktes Auto, vorüberfahrende Autos und Radfahrer, durch die Belichtung völlig unwirklich anmutend. Bei diesem Blick aus dem Fenster lässt sich erahnen, wie dunkel es im Raum sein muss.

Die Röhren — Kamerafahrt entlang eines farbverfremdeten Rohrsystemes. Alles hat seinen vorgezeichneten Weg zu gehen.

Testbild — Das Testbild vom Anfang des Kürzstfilmes wird noch einmal gezeigt, doch diesmal löst es sich langsam auf, wird undeutlich, kontrastarm, verschneit, bis es nur noch die Ahnung eines abstrakten Musters ist.

Der schlammige See — Plötzlich ist das Testbild weg, eine graue, grieselige Fläche wird langsam abgedunkelt. Die Musik läuft monoton weiter, ist jetzt aber stark reduziert. Hier entsteht das erste Mal ein von sehr langgezogenen, weichen, streicherhaften Tönen geprägtes Klangbild, wie es in meiner Musik sonst vertraut ist. Ein Bild des Sees wird eingeblendet, jetzt in natürlichen Farben. Frank, der schlammverschmiert ist, geht in einer sehr entschleunigten Szene in diesen See hinein und kommt noch dreckiger wieder heraus. Er geht wieder zurück und taucht schließlich völlig in diesem schlammigen See unter. Seine Bewegungen wirken dabei schwerfällig und lassen deutlich erahnen, dass sich am Grund dieses Sees nicht nur Schlamm, sondern auch eine Menge Müll befinden muss. Dieser Eindruck steht im Kontrast zum ansprechenden Klang der Musik und zur scheinbaren Idylle des Sees.

Das Stopplicht — Ein verfremdetes Bild von der Ausfahrt einer Tiefgarage. Ein grelles, rotes Licht kündigt an, dass sich die Ausfahrt gleich schließen wird, und die Ausfahrt schließt sich daraufhin.

Das Pixelauge — Ein aufgenommenes Auge wird langsam im Kontrast gesteigert und farblich verfremdet. Es zeigt dabei zunächst die Artefakte der Kompression als Klötzchen, bis es zuletzt nur noch eine unförmige, entfernt an ein Loch erinnernde Struktur ist.

Die verschlossene Tür — Ich gehe auf eine von Gittern umgebene Tür in einer Mauer zu, versuche sie zu öffnen, stelle fest, dass sie verschlossen ist und gehe gesenkten Hauptes wieder zurück. Es gibt keinen Ausweg.

Anmerkungen

Ich habe „Konkrete Poesie“ niemals auf einem meiner Alben veröffentlicht, sonst würde ich dieses Album hier verlinken. Zu verwoben erscheint mir das Stück mit diesem kleinen Videoprojekt, als dass ich es ohne Schaden herauslösen könnte. Aber es gibt natürlich eine Menge anderer Musik von mir, die ich in meinen Alben unter einer recht freien Lizenz und zum kostenlosen Download veröffentlicht habe.

Video und Musik haben nichts mit der visuell-literarischen Gattung der Konkreten Poesie zu tun, aber der Titel erschien mir angesichts meines Vorhabens dennoch passend. Auch hier wurden Bilder aus ihrem Zusammenhang gelöst und sollten zusammen mit der Monotonie der Musik eine jenseits der Erzählform eines Kürzstfilmes stehende, eigene Realität entfalten, die hilft, die „wirkliche“ Realität fühlbarer zu gestalten. Deshalb die etwas plakative Bildauswahl und die Neigung zur Verfremdung und teils absurden Überlagerung von Bildern, die prägend für den Stil dieses Videos ist.