Wer einen Weg sucht, wird einen Weg finden. Wer nicht sucht, findet Ausreden.

Es gäbe heute wohl weitaus weniger Menschen, die so verrückt nach Magie, Okkultismus und Spiritismus sind, wenn es nicht eine gesellschaftlich anerkannte Form der Religion gäbe, die Magie (Umwandlung von Oblaten in Fleisch), Okkultismus (Anrufung allerlei verborgener Wesenheiten in zwangsneurotisch anmutenden Ritualen, auf das diese doch hier zaubern und die Wünsche der Anrufer erfüllen mögen) und Spiritismus (unter anderem mit voll entwickeltem Totenkult) offen und unter dem Vorwand des „Willens Gottes“ praktiziert — und es ist durchaus kein Zufall, dass mit größerer Nähe zum Einflussbereich der römisch-katholischen oder der diversen, in ihrem faulen Zauber genau so argen orthodoxen Kirchen eine größere Bereitschaft der Menschen einher geht, allerhand obskures Zeug zu glauben und zu praktizieren. Das Vorbild der Tarotkarte ist die Ikone; das Vorbild des kalten, mechanischen Weltbildes der Astrologie ist der kalte, mechanische Ablauf des Kirchenjahres; die recht künstliche Sprache der Obskurantisten weist auf eine noch gar nicht so lang vergangene Zeit zurück, in der die kirchliche Magie in einer toten und für die Menschen unverständlichen Sprache praktiziert wurde; der massenhaft vermarktete esoterische Tinnef* spiegelt die Inflation der hl. Reliquien** und den Kult darum wider. Alle Ströme des direkt gegen die höheren Funktionen des Verstandes gerichteten Unfugs fließen aus der Quelle der etablierten und immer noch staatstragenden Religion. Und. Legen damit Zeugnis über diese Quelle ab. Die still zugewiesene und laut angenommene Aufgabe der Kirche im Staatsgefüge — und das gilt für jede Kirche und jede Religion im Staatsgefüge — ist es, den Wunsch der ausgebeuteten und hoffnungslosen Mehrheit der Menschen nach einem besseren, weniger bedrückten Leben nicht zu Taten gegen die Profiteure ihres Elends, sondern zu Ersatzhandlungen werden zu lassen; die Magie, der Okkultismus und der Spiritismus kommen dabei von ganz allein heraus.

*Esoterischer Tinnef: Von der Drahtpyramide, in der die Rasierklingen länger scharf bleiben (ein toller Trick, den nicht einmal die für ihre Pyramiden bekannten alten Ägypter kannten…) über den Magneten für den Wasserschlauch, der das Wasser für die Waschmaschine entkalkt bis hin zu den Steinen, Büchern, Symbolen, Engelsfiguren — es ist alles industriell hergestellte Massenware, billige und wirkungslose Kitschprodukte für die Psyche, die teuer verkauft werden. Es ist auch ein in die Zukunft schreiendes Dokument der derzeitigen intellektuellen und seelischen Verrohung.

**Hl. Reliquien: Es ist verblüffend, wie viele Schädel einige Heilige hatten, und es ist auch verblüffend, wie sehr Menschen geneigt sind, Objekte, die erst Jahrhunderte nach dem eigentlichen Ereignis unter meist fragwürdigen Umständen irgendwo aufgetaucht sind, allein auf Grundlage von Hörensagen für echt zu halten und einen Kult um diese vergötzten Dinge zu betreiben. Demnächst wird einmal mehr ein angebliches Grabtuch vor den glaubensbereiten Augen aufgespannt, das damals auf Jesus aus Nazaret gelegen haben soll und seltsame, wie gemalt aussehende Abdrücke davon bekommen hat. Das wird gewiss von den Zeitungen und den flackergeilen Sensationsmagazinen der Glotze — dort ganz besonders besoffen vom Halbdunkel, dem Weihrauch und dem ständig auf der Klaviatur der Nerven spielenden Psychogeklimper im Hintergrunde — breit gewürdigt werden, damit auch alle davon breit werden. Und obwohl sich bislang bei Datierungen herausgestellt hat, dass dieses Tuch ein paar Jahrhunderte zu jung ist, um das „echte Tuch“ zu sein, dass es sich also um eine mittelalterliche Fälschung handelt, werden jede Menge Indizien für die Echtheit in der gewöhnlichen Einseitigkeit solcher Machwerke gegeben werden, man ist ja christlich hier. So eine Reliquie wird da doch nicht angezweifelt, zumal man damit auch so gute Geschäfte machen kann, ganz so, wie sich mit jeder Irrationalität gute Geschäfte machen lassen. Deshalb gibt es auch so viele „Splitter vom hl. Kreuz“, dass man aus ihnen eine ganze Flotte bauen könnte. Nur ein bisschen Hirn, das hat keiner von den ganzen Heiligen hinterlassen, und dabei wäre das in der Kirche so dringend nötig.

Gruß an Dia