So lange so genannte Social-Media-Websites klein sind, sind sie relativ erfreulich. Es wird experimentiert, es wird Banales mitgeteilt, es wird gestritten, es wird geholfen. „Twitter“ kenne ich noch aus seiner Anfangszeit, und ich hätte damals niemals geglaubt, dass jemals jemand etwas damit anfangen könnte oder gar, dass darin genug Geschäft für ein börsennotiertes Unternehmen liege. Es war ein völlig sinnloses und gerade deshalb lustiges Angebot im Web; mit einer API, die so einfach war, dass ich „Twitter“ mit einem Shellskript befüllen konnte. (Die Lottozahlenvorhersage war von mir, es war eine einzige, aber etwas längere Zeile Code.)

Erst, wenn Social-Media-Websites eine gewisse Größe überschritten haben, wenn sie so groß geworden sind, dass gefühlte Anonymität das Ganze prägt, aber jeder seine kleine Blase von Gleichgesinnten, von gefühlten Anhängern findet, kommen diese vampirhaften Gestalten, denen es einzig darum geht, aus dem Rückhalt ihrer kleinen, recht unverbindlich auf Grundlage von Textfetzen gebildeten Clique heraus ihren verhungerten Narzissmus damit zu füttern, dass sie in Ermangelung wirklicher sozialer Befähigung möglichst viel Aufmerksamkeit anderer Menschen an sich binden: Diese ganzen Freunde des rauen Tons, der manipulativen Sprache, des digitalen Biedermeier, der perfiden Lüge und der hasserfüllten Rhetorik; diese Ideologen, Journalisten, PR-Leute, Werber, Esoteriker, Lehrer, Parteisoldaten, Propagandisten, Politiker, Sektierer (auch viele Politsektierer) und sonstigen Psychopathen… und eine Menge psychisch dringend hilfebedürftiger Menschen. Sie reißen den Betrieb schneller an sich, als man den Prozess verstehen könnte, sie prägen schnell das gesamte Bild einer so genannten Social-Media-Website, die schließlich und endlich zur offenen Form der geschlossenen Anstalt geworden ist; gärend, voller unerwarteter und unangemessener Emotion, Überreaktion und Feindschaft, unberechenbar, vorwurfsvoll, kryptostalinistisch, voller „Humor“, der nur noch in Spott und Verachtung besteht, voller Geisteskrankheit und Lüge, überall Gift.

Ein ideales Biotop für Gestalten wie Elon Musk, übrigens. Und für Gestalten wie Donald Trump.

Tut mir und euch selbst einen Gefallen, ihr Menschen, die ihr seit ein paar Tagen vor „Twitter“ weglauft, weil ein durchgeknallter Milliardär den Laden kauft, als ob euch nicht die ganzen Jahre völlig egal gewesen wäre, wer dieses „Twitter“ an der Börse besitzt: Kommt nicht ins Fediverse! Niemand vermisst euch dort! Erst recht erwartet euch dort niemand! Und das für euch vermutlich Wichtigste: Niemand wird euch dort hören! Ihr habt da keine Zuhörer mehr. Euer Narzissmus wird hungern.

Geht schön in eure offene Klapsmühle zurück und bleibt da unter euch!

Ich habe diese Art der Flucht jetzt schon so fünfmal erlebt. Sie kamen in Scharen ins Fediverse, stellten fest, dass sie nicht die gewünschte Aufmerksamkeit erhielten und sie rannten in Scharen ausgerechnet dorthin zurück, von wo sie geflohen sind. Und es war jedesmal ein Generve mit Menschen, die nicht verstanden haben, dass eine Website, die nicht „Facebook“ ist, sich folglich auch nicht wie „Facebook“ bedient, sondern ein paar Dinge besser macht, ein paar Dinge schlechter macht und beinahe alle Dinge etwas anders macht. Regelmäßig kam es kurz nach den jeweiligen Social-Media-Flüchtlingswellen zu teilweise wortreichen Anklagen ans Fediverse, dass es sich in Bedienung und Konzepten doch an das anpassen solle, was es nicht sein will. Und dann waren die neuen, teilweise laut fordernden Leute wieder weg. Dorthin zurück, wo sie herkamen, aber wegwollten, weil die Betreiber aus geschäftlichen Gründen irgend etwas verändert hatten. Sie sind vor der Zensur geflohen, vor geänderten Nutzungsbedingungen, vor Überwachung, vor Datensammelei, vor algorithmischen, werbeoptimierten Timelines oder vor anderen Zumutungen, aber sie waren genau schnell wieder zurück und fanden jede Zumutung auf einmal zumutbar, als sie die Alternative kennengelernt haben: Aufmerksamkeitsentzug.

Oder, um es mit ihren Worten zu sagen: „Da ist ja keiner“.

Wer will sich schon eine Droge geben, die keinen Rausch verursacht?

Das müssen heftige Entzugsschmerzen für so einen „Twitter“-Folgling oder einen „Facebook“-Süchtigen sein! Wenn man nur sieht, was für Kröten diese Menschen fressen! Mit denen kann man vermutlich alles machen, weil sie wegen ihrer Sucht keine Wahl mehr haben! Social Media ist Heroin für das Volk. Legales Heroin, mit dem man völlig legale Geschäfte machen kann.

Erspart euch also den Umweg und bleibt gleich zuhause: In eurer Irrenanstalt, in der euer eigener Irrsinn längst zu einer Ware geworden ist, die ein anderer euch gegenseitig verkauft. Börsennotiert.

Ich wünsche euch dort von ganzem Herzen viel Spaß.

Aber bleibt dort!

Das Heroin, das ihr haben wollt, gibt es im Fediverse nicht. Niemand, der seine Websites nicht aus Gewinnerzielungsabsicht betreibt, hat auch nur das geringste Interesse an diesem menschlich sehr ekligen Geschäft mit der Sucht.

Und deshalb seid ihr dort eh falsch.

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