Tag Archive: Psyche


Reden

Der Vorübergehende sagte zu seiner Mitmenschin: „Die Menschen sind doch seltsame Wesen. Immer wollen sie reden, aber vom anderen wollen sie dabei nur das hören, was sie schon selbst sagen. Ihr scheinbar soziales Bedürfnis ist vor allem ein Wunsch nach der Externalisierung ihrer Selbstgespräche, und ihre Gespräche sind genau so interessant und anregungsreich wie ein Selbstgespräch“.

Blasphemie

Warum die Menschen so oft empfindlich, zornig und völlig unnachsichtig auf Blasphemie reagieren, als ob G’tt nicht für sich selbst kämpfen könnte? Weil sich in diesen Menschen zeigt, dass sie ihren Gott selbst geschaffen haben; dass sie ihren dumpfen narzisstischen Allheitsanspruch, als dieser mit erwachendem Bewusstsein der eigenen Schwäche und Sterblichkeit zunehmend unhaltbar wurde, nicht beendet, sondern auf einen unsichtbaren Begleiter übertragen haben; weil ihr Glaube in Wirklich- und Wirksamkeit das Glaubensbekenntnis des Narzissten ist: „Am Anfang schuf ich Gott und gab ihm einen Teil meiner Allmacht, und am Ende werde ich meine Allmacht von Gott zurückfordern und Gott zur Rechenschaft ziehen“. Deshalb können sie keine Blasphemie ertragen. Es ist eine Beleidigung ihrer selbst, direkt an den Kern dieses psychomechanischen Wahns gerichtet und deshalb so tief kränkend. In der Ächtung und im staatlichen Verbot der Blasphemie spiegelt sich nichts als die politikgewordene Vergötzung der kalten, humorlosen, brutalen und dummen Psyche; und der oft fern jeder Verhältnismäßigkeit liegende, ja, justizmordende Grimm, mit dem ein solches Verbot durchgesetzt wird, ist ein klares und gruseliges Spiegelbild der hemmungslosen Mordlust ebendieser Psyche. Man kann den hohen zivilisatorischen Standard einer Gesellschaft auch daran erkennen, dass Blasphemie völlig normal und alltäglich ist. Wer seinen Gott (andere Götter stellen ja regelmäßig kein Problem dar) mit Gewalt vor Beleidigungen schützen will, will die Zivilisation abschaffen.

Blüte

Je stärker der niemals recht eingestandene und deshalb von bewussten Gedanken und Erwägungen unberührte, im Dunkeln nagende Zweifel, desto energischer der Fanatismus.

Die Geschichtsbücher

Menschen schreiben Geschichtsbücher, um sich das Vergangene besser durch Verdrängung vom Halse schaffen zu können. Und. Sie geben Geschichtsunterricht an den staatlichen Schulen, damit die erzwungene Beschäftigung mit den immer noch gegenwärtigen Strukturen, die schon einmal das Vergangene mit hervorgebracht haben, als eine rückwärtsgewandte Beschäftigung mit der Vergangenheit erscheint, nicht als eine Beschäftigung mit der Gegenwart. Die „Lehren“, die dabei hochnotfeierlich aus der „Vergangenheit“ gezogen werden, bleiben größtenteils im Symbolischen und Anscheinbaren stecken, im psychischen Sumpf neben dem monumentalen Mahnmal mit seinen gleichermaßen lieblos und hoch ritualisiert im Jahreslauf abgeworfenen Kränzen.

Statussymbole

Das Problem mit den Statussymbolen liegt in der menschlichen Psyche, in deren bis an die Grenze des Wahnsinns dummer Logik der Trümmer eines Teiles zum Ganzen und ein Ersatz zum vollwertigen Original werden kann. In der Folge werden den Menschen die Symbole wichtiger als der Status — und das wiederum ist ein hervorragendes Geschäft, das so manchen Status absichert.

Vorausschau zurück

„Die alle Brücken hinter sich abreißen“, sagte der Vorübergehende zu seiner Zeitgenossin, „sehen neue Brücken vor sich, auf denen sie ihre Stiefel im Schnee erproben wollen. Nur sehr selten und niemals ohne eine damit verbundene, tiefe existenzielle Krise verlässt ein Mensch alles, was er kennt, ohne dabei etwas anderes, vertraut und gar nicht allzu neu anmutendes vor sich zu sehen. Die, die verlassen, verlassen nicht, sondern gehen zum Gleichen oder zu seinem ebenso vertrauten Spiegelbild: Von der Religion zur anderen Religion oder zur Ideologie, von der mies bezahlten Arbeit zum ungerecht entlohnten Job, vom Lebenspartner zur verblüffend ähnlichen großen Liebe, von der Arbeiterbewegung zum Faschismus, von der repräsentativen ‚Demokratie‘ mit ihrer Parteienoligarchie zur Diktatur, vom Pazifismus zum gerechten Krieg. Ohne eine tiefe und persönliche existenzielle Krise und das damit verbundene Leiden ist noch niemand wirklich klug, heiter, klar und einsichtig geworden; und wer nicht klug wird, bleibt sein Leben lang ein Häftling der eigenen Psyche, voller Angst vor allem Neuen und reißt erst dann die Brücken ab, wenn er tot ist“.

Überzeugung

So viele Menschen mit so starken Überzeugungen, dass sie einem vor lauter Affekt kaum sagen können, wovon sie eigentlich überzeugt sind. Und täglich produziert der Journalismus und sein hübscher Bruder, die Reklame, mit aller eingespannten, dummen Macht der Angst und der Träumerei mehr davon.

Mutation der Ideale

Wenn die einstigen Ideale erst einmal zur Ideologie geworden sind, dienen sie nur noch zum Maskieren der dummen, gewalttätig-hassenden, tierhaft-humorlosen, wahnsinnigen, von sich selbst besessenen Psyche im Rausch des Kollektivs unter ihresgleichen… und, wenn nötig, hin und wieder ins schönste Licht gestellt zur Reklame für die eigenen Anliegen.

Grüße auch an die Grünen!

Hoffnung

Hoffnung bedeutet, bis zum Tod fest und angstvoll genug davon überzeugt zu sein, dass man nur geduldig auf eine Erlösung warten müsse, während aussichtslose, unerträgliche, grausame Zustände noch ein paar Tage, Monate oder Jahre einfach so weitergehen, ohne dass man ihnen auch nur vernehmbar widerspräche oder gar etwas dagegen täte. Viele Hoffende verschränken schließlich sogar ihre Hände zum Gebet und murmeln vor sich hin, damit sie überhaupt nicht mehr handeln und reden können; anderen genügt das Ankreuzen von Wahlzetteln, damit jemand anders so für sie handeln und leben mag, wie sie es gern hätten; wieder andere glauben an Ideologien und ihre Versprechungen einer wunderschönen und paradiesischen Zukunft. Wer die Hoffnung aufgibt, beginnt den Weg in die Freiheit zu gehen — und nimmt es mit Humor, wenn von den Hoffenden in ihren selbst angelegten Fesseln nichts als Beleidigung, Beschimpfung und schließlich sogar gewaltbereiter Feindschaft kommen, denn all dieses ist nur Spiegelbild jener fürchterlichen Angst, die in die Hoffnung führt.

Lawine

Wer sich völlig vom Prozess mitreißen lässt, der über den Gesellschaften abläuft; wer sich selbst an den Schwarm, die Horde, den Verein, die Ideologie, die Partei und die Gruppe abgibt, ohne eine Spur Bewusstsein für sein eigenes Tun zu entwickeln; der hat sich vor der eiskalten Logik seiner Psyche vollwertig von seiner Verantwortung für sein gesamtes Tun und Lassen losgesprochen und kann einfach unbelastet von Schuldgefühlen weitermachen. „Noch nie wurde eine einzelne Schneeflocke für die Lawine verantwortlich gemacht“, kann er sich sagen, der Mitläufer im Lawinenmodus, mit dem Mob johlen und durch das Blut stiefeln.

Vom Glauben

„Die Menschen glauben immer noch am liebsten und am intensivsten das“, sagte der Vorübergehende zu seiner Zeitgenossin, „was sie sich wünschen und was ihrer Psyche gut gefällt. Ganze Geschäftsmodelle wurden um diese Neigung der Menschen errichtet, von der Religion bis zum Zahlenlotto“.

Die Klebrigkeit des Wahns

Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist eine kollektive Wahnidee durch eine vernünftige Argumentation verschwunden, sie wurde bestenfalls in eine ähnliche kollektive Wahnidee transformiert. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der kollektiven Wahnideen in kalter, freidrehender Psyche.