„Egal, wo die Menschen waren, sei es auf der Erde, sei es in der Erdumlaufbahn, sei es im Weltraum“, sagte der Vorübergehende zu seinem mit beiden Beinen im Kosmos stehenwollenden Bruder im Staub, „sie haben immer ihre Spuren hinterlassen: Den Müll, den sie stets und zuverlässig ebendort achtlos zurückgelassen haben, wo sie einmal waren, mit zunehmenden technischen Fortschritt immer umfangreicher, beständiger und problematischer, als ein leicht zu interpretierendes Denkmal des menschlichen Schaffensdranges, das alles Potenzial hat, die menschliche Zivilisation zu überdauern. Erstaunlich, dass diese dummen, asozialen, verantwortungslosen Rüpel sich dennoch darüber verwundern, im Kosmos so isoliert zu sein und von anderen Lebensformen gemieden zu werden, wo sie doch immer nur alles zumüllen“.
Tag Archive: Müll
Lieber M.,
bitte versteh mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen dich. Ich habe dich ja auch noch nie irgendwo getroffen, was auch nicht weiter überraschend ist, weil wir doch sehr verschiedene Lebensbereiche haben: Du als Naturwissenschaftler und ich als… naja… Penner.
Ganz im Gegenteil, ich mag dich sogar recht gern. Du hast einen bemerkenswert guten und breit gefächerten Musikgeschmack und machst wirklich den Eindruck eines aufgeschlossenen und vielseitig interessierten Menschen. Und außerdem scheinst du in technischen Fragen recht ungebildet zu sein. Das scheint dich aber nicht weiter zu stören, denn wenn ein Gerät mal — aus deiner Sicht der Dinge — kaputt ist, kannst du es dir leisten, das nicht mehr wie gewünscht funktionierende Gerät einfach wegzuwerfen und dir ein neues zu kaufen. Aber auch das mag ich in gewisser Weise, denn es sind Menschen wie du, die das dumpster diving zu einer lohnenden Betätigung machen.
Deinen Computer — der auf eBay übrigens zwischen 130 und 150 Euro eingebracht hätte; allein das Motherboard geht sicher für einen fluffigen Fuffie weg — habe ich im Müll gefunden. Computer aus dem Müll sind ja immer Glückssache, zu oft entpuppt sich der Kasten nach einer ersten Inspektion lediglich als ein Teilespender für halb-obsolete Hardware. Das war bei deinem nicht der Fall. Sicher, du hast ihn weggeworfen, weil er ziemlich „zerschossen“ war, das darauf laufende Windows 7 Home Premium von unser aller Freund Microsoft brauchte fast zehn Minuten zum booten und war am Ende dieses Vorganges nahezu unbedienbar.
Woher ich das weiß? Nun, deine „Maßnahme zum Datenschutz“, die darin bestand, einfach das SATA-Kabel zwischen Board und Festplatte herauszunehmen, war nicht besonders wirksam. Nein, es ist wirklich nicht so, dass ich in deinem Privatleben herumschnüffeln wollte, ich wollte einfach nur wissen, ob die Terabyte-Platte nur ein dekoratives Objekt für einen Haufen Schrott ist, oder ob ich sie noch verwenden kann. Ich kann große Festplatten immer gut gebrauchen. Erfreulicherweise war deine Festplatte kein Stück Schrott. Dein Windows-Desktop sieht übrigens so aus (und der Monitor, auf dem er dargestellt wird, stammt ebenfalls aus dem Müll):
Vieles daran finde ich sehr erfreulich. Nein, deine Faszination für gerenderte Autos in der ungefähren Ästhetik eines Zäpfchens gehört nicht dazu, aber hey, wir haben alle unsere komischen Vorlieben. Doch ich finde es erfreulich, dass so viel Bewusstsein für die Probleme der Computersicherheit hast. Dabei bist du weit über solche einfachen Dinge wie einen Tor-Browser hinausgegangen; du verwendest GnuPG, vermutlich, um deine E-Mail zu verschlüsseln; du verwendest TrueCrypt, weil es halt andere Leute einen Dreck angeht, was du auf deiner Festplatte hast; du sorgst mit KeePass dafür, nicht überall das gleiche Passwort zu verwenden und dir deine Passwörter so festzuhalten, dass man sie dennoch nicht einfach lesen kann. Es wäre vermutlich schon viel gewonnen, wenn jeder so umsichtig wäre. Die Eingabe eines Passwortes zur Anmeldung an den Computer und die Verschlüsselung deiner Arbeitsverzeichnisse war dir aber scheinbar doch ein wenig zu viel Getippe vor dem Datengenuss, so dass der Rechner mit deinem Desktop hochfuhr, ohne dass ich eigens ein Passwort hätte erraten müssen. Das Experiment, ob ich deinen Thunderbird starten kann und ohne Eingabe eines Passwortes deine E-Mail abholen oder in deinem Namen E-Mail versenden kann, habe ich nicht gemacht, denn ich bin kein Arschloch, das so in deiner Privatsphäre rumlümmeln möchte. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich sie dann mit POP3 abgeholt und damit dir vorenthalten hätte. Ich habe auch darauf verzichtet, deine alten Mails zu lesen, ich habe mich nur anhand der Dateigrößen davon überzeugt, dass sie noch lokal im Thunderbird-Verzeichnis vorliegen.
Ich habe mir ebenfalls gespart, mal zu schauen, was ich anhand der Browser-Chroniken der drei von dir verwendeten Browser über dich herausbekommen kann. Und deine privaten Fotos habe ich wirklich nur ganz kurz angeschaut, um nach Anblick deiner vollständigen Bewerbungsunterlagen schnell wieder davon abzulassen — eine hübsche Tochter hast du übrigens, die hoffentlich ein schönes Leben vor sich hat. Was die von dir genutzte Software über dich verrät, wenn man nur den Desktop betrachtet, hat mir als kurzer, leicht gruseliger Einblick schon gereicht. Und deinen anerkennenswert breit gefächerten und teilweise sehr interessanten Musikgeschmack — wenn man vielleicht einmal von peinlichen Fehlgriffen wie Rosenstolz absieht — habe ich ja schon erwähnt. Dieses uTorrent scheint dir ja auch ganz gut gefallen zu haben…
Du hattest natürlich Recht: Dein Windows 7 konnte man nicht mehr benutzen. Es war ein schmerzhaft zuckender Krampf im Allerwertesten, in einem Zustand, in dem man jemanden damit bestrafen konnte, der Vater und Mutter totgeschlagen hat. Ich habe mich deshalb auch gleich gefragt, ob es sich um ein Problem mit deinem Rechner — wie gesagt: er war ja Müll — handeln könnte, und deshalb habe ich nach zwanzig Minuten einer dir sicherlich wohlbekannten Qual¹ ein Xubuntu 14.04 LTS von einem USB-Stick gebootet, den ich zufällig in der Tasche hatte. Damit hatte ich nicht nur ein sehr performates Stück Computermüll vor mir stehen, sondern ferner keinerlei Hinweis auf irgendeinen Schaden an deiner Hardware gefunden. Nun gut, ich mag AMD nicht, weil ich schon viel Ärger mit AMD hatte. Aber das ist noch kein Schaden; dein Rechner lief wirklich gut, und auch die Performanz deiner Festplatte war mehr als nur befriedigend.
Denn darin hattest du ganz einfach unrecht: Dein Rechner war kein Müll. Dein völlig verhunztes Windows, das war Müll. Das hättest du einfach neu installieren können, und wenn du wirklich nicht weißt, wie das geht, hättest du ein paar hundert Meter weiter stadtauswärts einen kleinen Computerladen gefunden, dessen übrigens sehr freundlicher und kompetenter Inhaber dir sicher dieses Problem für rd. ein blaues Läppchen mit gotischen Fenstern gelöst hätte — oder dir noch einen richtig guten Preis für dein Gerät gemacht hätte, wenn du aus anderen Gründen einen neuen kaufen wolltest. Natürlich nicht die rd. 150 Öcken, die du auf eBay erzielt hättest, denn er will verständlicherweise auch von etwas leben; aber zwischen achtzig und hundert Euro hättest du dafür bekommen. Ohne, dass du dich dem üblichen Betrugsrisiko auf eBay hättest aussetzen müssen. Und hey, denk doch mal in Ruhe drüber nach, M.: Computer sind viel zu schade zum Wegwerfen!
Aber wie ich am Icon des Bietagent auf deinem Desktop sehe, hättest du wohl auch mit eBay keine Probleme gehabt.
Und mit noch etwas hattest du Unrecht: Es macht deine Festplatte nicht unlesbar, wenn du das SATA-Kabel entfernst. Man kann einfach ein anderes Kabel nehmen. Aber du kannst ja auch nicht alles wissen, M., wo du doch schon beachtliche Leistungen im Studium erbracht hast:
Ich könnte noch viel über dich schreiben, M., wenn ich mir nur die Mühe gemacht hätte, ein bisschen weiter in deiner Privatsphäre rumzuwühlen. Die schwarzen Balken in deinem Zeugnis habe ich übrigens gemacht, weil ich vor deiner Privatsphäre mehr Respekt habe als du selbst — und deshalb Wert darauf lege, dass du aus diesem Artikel heraus für andere Leser nicht leicht identifizierbar bist.
Was ich alles hätte machen können, wenn ich kein Penner, sondern ein richtig asozialer Verbrecher gewesen wäre, kannst du dir vielleicht inzwischen vorstellen. Deine in sehr guter Qualität eingescannte Unterschrift und die umfangreichen Angaben über dich aus deinen Bewerbungsunterlagen wären mir zum Beispiel eine große Hilfe bei einem Identitätsmissbrauch gewesen. Den Rest, den ich — wie gesagt, ohne mir auch nur Mühe zu geben oder gezielt danach zu suchen; ich wollte nur nachschauen, ob die Festplatte noch benutzbar ist — in lediglich zehn Minuten gesehen habe, solltest du dir selbst vorstellen können, und wenn du wissen möchtest, welches Missbrauchspotenzial darin liegt, dann frag doch einfach mal die Polizeibeamten in der kleinen Wache um die Ecke, denn die werden dir darüber eine Menge erzählen können.
Zu meinem großen Missfallen gibt es leider richtige Arschlöcher da draußen; Leute, die jeden zwischenmenschlichen Maßstab verlieren, wenn sie die Möglichkeit sehen, sich auf Kosten anderer Menschen einen Vorteil zu verschaffen, Leute, deren Empathievermögen auf den Niveau eines gebrannten Ziegelsteines liegt. Und nur für den Fall, dass du das noch nicht weißt: Es gibt davon so verdammt viele. Gerade in deiner Umgebung.
Deshalb solltest du daraus lernen und nie wieder so eine Festplatte wegwerfen. Nein, du musst dafür nicht zum Hammer greifen. Ein auch für informationstechnisch weniger geneigte, Windows-verwendende Mitmenschen brauchbares Programm zum Unlesbarmachen einer Festplatte ist zum Beispiel Disk Wipe². Dafür musst du noch nicht einmal Geld bezahlen, aber so ein Fünfer für die Entwickler, die dir das schenken, wäre schon nett. Ein PayPal-Konto hast du ja…
Am besten, du erzählst jetzt auch jedem anderen, dass ein bisschen Selbstverantwortung im Datenschutz eine gute Idee ist und dass du schon einmal selbst ganz knapp an einer kleinen persönlichen Katastrofe vorbeigeschrammt bist. Denn ich habe derart „auskunftsfreudige“ Festplatten aus Müllrechnern nicht zum ersten Mal in meinem Leben gesehen.
Dein
Nachtwaechter
P.S.: Natürlich ist die Festplatte jetzt vollständig gelöscht. Wenn du dich dafür bedanken möchtest, drück einfach dem nächsten Bettler, der dir übern Weg läuft, ein paar Euro in die Hand, statt ihn mit einem verachtungsvollen Blick und vielleicht sogar hässlichen Stammtischparolen und Schimpfwörtern abzuspeisen. Vielleicht bin es ja ich.
¹Auch im abgesicherten Modus war die Windows-Installation unbenutzbar. Wenn es mir das wert gewesen wäre, hätte ich mir vielleicht mal mit msconfig
angeschaut, was deinen Rechner so lähmt. Der soeben gesetzte Link zu Microsoft benötigt übrigens zwingend JavaScript.
²Richtige Profis fahren ein GNU/Linux hoch und machen es mit dd
. Wie das geht, findet sich unter Angabe sehr naheliegender Suchbegriffe in diesem Internet.
Wer die Reklame-Packungen aus der Zeit der Fußball-Geldmeisterschaft nicht mehr kennt: Auf der anderen Seite ist groß die Zahl achtundachtzig unter dem Markennamen „Ariel“ abgebildet.