Tag Archive: Kultur


Wissenschaft und Kultur

Foto des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, dessen hässliche Fassade eher an einen Bunker erinnert

„Kulturrettung“ durch Rundfunkgebühr

Eine Kultur, die durch eine Zwangsabgabe zur Finanzierung der Rundfunkanstalten „gerettet“ oder „erhalten“ werden soll (wobei in Wirklichkeit ein parteipolitischer Alimentierungsapparat erhalten bleibt), hat sich selbst ihren Totenschein ausgestellt und bedarf keiner weiteren Einbalsamierung, um noch länger in den nischenprogrammmusealen Mausoleen der Bourgeoisie in ihrer Leblosigkeit zur Schau gestellt zu werden — sie mag getrost verwesen und noch als Dünger dienen.

Deutsche Kultur

Bei der ungeheuren Beschleunigung des Lebens werden Geist und Auge an ein halbes und falsches Sehen und Urteilen gewöhnt

Friedrich Nietzsche (1844-1900)

„Dein Bach, dein Goethe, dein Schiller, dein Leibniz, dein Schopenhauer, dein Nietzsche“, sagte der Vorübergehende zu seinem nur scheinbar intellektuellen, völlig verblendeten Zeitgenossen, der gerade im Begriffe war, sich in Rage zu reden, „sie sind nicht die deutsche Kultur. Sie spielen für das Leben der Menschen in Deutschland im Alltag keine Rolle mehr, wenn man einmal von ihrer institutionellen Verherrlichung in Schulbetrieb und Bildungsbürgertum absieht. Sie sind längst deutsche Geschichte. Die deutsche Kultur besteht in RTL; Fußball; Industriemusik vom volkstümlich klingenden Schlager bis hin zu Helene Fischer; unwidersprochenen und dreisten Politikerlügen vor jeder so genannten Wahl; halbiertem Halbwissen aus schlechten, emotional-manipulativen TV-Dokumentationen; als Talkshow verkleideter Politik-Spam zur medialen Unterstützung der völligen Entpolitisierung der Bevölkerung; alles durch- und zersetzender Korruption; ’sauberen‘ Dieselmotoren; Hauptstadtflughäfen und anderen Prunkbauten zur Selbstverherrlichung einer peinlichen poltischen Klasse, die als baufrische Ruinen in die wehrlose Landschaft klagen; der Verarmung, teilweisen Verelendung und Verdummung großer Teile der Bevölkerung; einer namenlosen und vielgestaltigen Angst davor, etwas an diesen beklagenswerten Zuständen zu ändern und schließlich in einer rein psychisch bleibenden Angstabwehr durch Verdrängung und der direkt daraus ersprießenden intellektuellen Selbsteinlullung und rückwärtsgewandten Verherrlichung des wieder herbeigesehnten, längst Vergangenen — eine deprimierende Ersatzbefriedigung für die eigentliche, längst mit kollektiver Kapitulation begrüßte Anforderung, das Seiende und Werdende in möglichst eträglicher Weise zu gestalten“.

Kulturfrucht

Als die Menschen ihre Kultur ausbildeten und sich kollektiv ihren Lebensraum gestalteten, um nicht mehr der Gefahren und Unberechenbarkeiten der Natur existenziell ausgesetzt zu sein, bekamen sie im Voranschreiten ihres Kulturprozesses von der Natur einen bislang unbekannten und in der Folgezeit niemals geliebten Begleiter zugeteilt: Die Langeweile.

Die Natur des Menschen

Als der Zeitgenosse einwandte, dass die Überwindung der Idee des Staates und die Anarchie ja gar nicht möglich sei, weil die Natur des Menschen solches nicht zulasse, erwiderte der Vorübergehende: „Deshalb ist die Kultur des Menschen so wichtig. Die Natur des Menschen hat das Potenzial eines Bonobos, dessen gesamtes Dasein von unmittelbarer sexueller Lust und existenzieller Not geprägt ist; die Kultur des Menschen hätte hingegen ein Potenzial, wie es in star trek durch die Brille unserer beschränkten Imaginationskraft nur angedeutet ist. Und gerade in star trek zeigt sich auch, welche Wege die Kultur des Menschen nehmen könnte: Den Weg selbstverantwortlicher Individuuen, die ihre Fähigkeiten und Erfahrungen aus inneren Beweggründen heraus zwangfrei in den Dienst gemeinsamer Ziele stellen, obwohl es dank großartiger Technik keinen Mangel an irgend etwas gibt und kein allgegenwärtiges Belohnungssystem wie Geld das Wohlverhalten gegenüber den gemeinsamen Zielen erzwingt. Oder aber, und das findet die Menschheit in ihrem Staatsglauben und in ihrer Individualitätsverachtung leider zurzeit sehr viel attraktiver, den Weg des Borgwürfels“.

Leider verloren

Wenn man darüber nachdenkt, wieviel Kunst- und Kulturförderung aus den Einnahmen des staatlichen Zahlenlottos und der staatlichen Lotterien finanziert werden, ist es gar kein Wunder mehr, dass so viele Menschen in Deutschland kulturell und künstlerisch betrachtet immer und immer wieder die Niete ziehen…

Naturschutz

Er sprach so scheinbar rational von der Wichtigkeit des Naturschutzes, dass es fast überzeugend klang. Doch mit „Naturschutz“ meinte er, wann immer man das Wort vorsichtig nach seiner Bedeutung abklopfte, dass „die Natur vom Menschen getrennt“ werden müsse, dass das zivilisatorische Agieren des Menschen also nicht ein Natürliches sei. In der scheinbaren Rationalität der Forderung nach dem Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen verlarvte sich die Irrationalität des menschlichen Narzissmus, die scheinbar unausrottbare Auffassung, dass der Mensch über die gemeine Natur erhaben sei. Es war nur ein Spiegelbild des unbändigen und oft brutalen menschlichen Gestaltungsdranges, welcher der Welt seinen Stempel aufdrückte und aufdrückt; ein Spiegelbild, das sein Urbild anfeindete, aber dabei. Genau so unreflektiert wie dieses war.

Fanartikel billig

Vuvuzela

Vuvuzela (die, Substantiv) — Gedankenzerdröhung, Hirnstaubsauger, Lärmverdummung, Akustischer Präsentierteller für Reklame und Propaganda

Von der Vuvuzela — übrigens ein Wort, das bis vor einigen Tagen kaum jemand kannte, so dass wohl jeder diese wenig ansprechend gestalteten Objekte mit dem deutlich deutschen Namen „Tröte“ bezeichnet hätte — wird gesprochen, als handele es sich dabei um ein unabdingbares afrikanisches Kulturgut. In Wirklichkeit. Handelt es sich um einen billig herzustellenden Fanartikel aus Plastik, der gewiss mit großen Gewinnmargen verkauft wird. Dass diese auf maximalen Lärm optimierten Tröten trotz der lärmbedingten Gesundheitsgefahren nicht wie andere gefährliche Gegenstände aus den Stadien verbannt werden, liegt nicht etwa an der afrikanischen Kultur, wie es so gern behauptet wird, sondern am Nutzen dieses Krachs für die fernsehgerechte Aufbereitung des großen vaterländischen Ablenkungstheaters der Geldmeisterschaft. Der Lärm erweist sich als unendlich nützlich, um die Stimme der Sportbrüllreporter schwer verständlich zu machen, und deshalb wird er auch mit erheblichem Pegel in den Hintergrund der Berichterstattung gelegt. In der Folge stellen Menschen ihre Empfangsgeräte schön laut, um doch noch etwas zu verstehen, und diese Lautstärke brüllt offenbar gewünschtermaßen jeden reflektierenden Gedanken nieder.

Wie absichtlich dieser Mechanismus eingesetzt wird, zeigt sich daran, dass in den Nachbetrachtungen des jeweiligen Gekickes, wenn sich Herr Netzer mit einem mit unbekannten Reporterdarsteller über das vergangene Spiel unterhält, ebenfalls dieser Lärm im erheblichen Pegel aufgeschaltet wird, obwohl er in diesem Studio wohl sehr gedämpft oder gar nicht hörbar sein wird. Der Zuschauer dieses Spektakels und Zuhörer dieses Angriffes auf Trommelfell und Denkmuskel kann dann voller Erstaunen erleben, wie gut auf einmal die Sprachverständlichkeit wird, wann immer zu einem Interview mit einem Fußballspieler direkt in einen Raum im Stadion geschaltet wird, ohne dass dieser Lärm dort dermaßen deutlich zu hören ist wie im gut isolierten Studio des bundesdeutschen Staatsfernsehens. Die Vergällung der aufgeführten Gespräche mit einem Krach, der es so sehr erschwert, dem „Inhalt“ dieser Gespräche zu folgen, sie wird also absichtlich von den Tontechnikern des bundesrepublikanischen Staatsfernsehens vorgenommen. (Generell wird bei „Fernsehereignissen“ dieser Größenordnung und dieses Preises nichts dem Zufall überlassen.)

Übrigens ist es ein Leichtes, die Sprachverständlichkeit zu verbessern. Ich habe eine Tonaufnahme von etwa einer halben Stunde Länge mit einem Notch-Filter für den Frequenzbereich zwischen 250 und 350 Hertz und einer leichten Anhebung der umgebenen Frequenzen behandelt und konnte auf diese Weise mit sehr geringem Aufwand eine erhebliche Verbesserung erzielen, ohne dass die „Atmosphäre“ (was für ein Euphemismus, um infernalischen Krach damit zu bezeichnen!) zu sehr darunter gelitten hätte. Wenn ich so deutlich davon schreibe, dass es sich beim pegeltonartigen Gedröhn der Vuvuzelas um ein absichtsvoll den restlichen Ton so erdrückendes Element handelt, denn ist das nicht etwa eine in mir schlummernde Tendenz zur Verschwörungstheorie, sondern. Die hoffentlich auch für andere Menschen nachvollziehbare Annahme, dass einem professionellen Team von Tontechnikern und der Phalanx der ihnen verfügbaren Studioausstattung wohl etwas möglich sein muss, was ein Amateur wie ich mit freier Software (Audacity) und einem recht betagten Computer hinbekommen kann. Dass dies nicht geschieht, deutet auf Absicht hin. Welche erwünschte psychologische Funktion sich allerdings hinter dieser Absicht verbergen mag, das fällt ebenso in den Bereich des Spekulativen wie die Antwort auf die Frage, wessen Wunsch da erfüllt wird. (Die Reklame zwischen dem ganzen Krach hat natürlich eine exzellente akustische Verständlichkeit, und sie wird wohl auch oft recht laut gestellt sein.) Ohne explizit geäußerten Wunsch wird kein Tontechniker dieser Welt eine derart schlechte Arbeit leisten.

Danke K., für den Hinweis und für die Tonaufnahmen. Ich bin fassungslos, wie unerträglich das alles wirklich ist!

Von der Größe

Alles Große, Erhebene, Wunderbare in der Geschichte der menschlichen Kultur entstand nur, weil gewisse Menschen aus reiner Lust an diesem Tun mehr getan haben, als sie in ihrer Lebenssituation hätten tun müssen. Aber alljenes, das nicht in erster Linie groß ist, aber aller Menschen Alltag erleichtert und ihnen mühsame Arbeit erspart, entstand aus der anderen, nur scheinbar entgegengesetzten psychischen Strebung heraus, aus der so oft verunglimpften und doch kulturell so fruchtbaren Faulheit. Die wirklich großen Menschen sind immer jene gewesen, die allzu genau um ihre eigenen Schranken wussten und sich nicht in süßen narzisstischen Tagträumen eingebildeter Allmacht verloren; die es — entgegen allem Unverständnis und aller Kritik ihrer Zeitgenossen — verstanden, bei den leidigen Tätigkeit kreativ faul zu sein, um aus ihrer Lust heraus kreativ tätig zu sein. Sie waren jene, die ihr Hirn nicht nur wie eine lächerliche Krone auf ihrer Evolution trugen, sondern es auch benutzten.

Der Tod der Lyrik

Wer noch weiß, was ein Gedicht ist, wird schwerlich eine gutbezahlte Stellung als Texter finden.

Theodor W. Adorno, Theorie der Halbbildung

Vermutlich ist die Lyrik die älteste Form künstlerischen sprachlichen Ausdruckes. Sie war keine nutzlose Kunst. Die formale Gestaltung, die Tendenz lyrischer Ausdrucksweise, Begriffe über den Gleichklang und das Metrum miteinader zu verbinden, weist in eine Zeit zurück, in der Menschen keine Schrift zur Verfügung hatten und sich dieser sinnlichen Qualitäten als ein Mittel bedienten, Text zum Erzählen (und zum Zaubern, denn ihre Weltanschauung war magisch) im Gedächtnis zu behalten. Tatsächlich ist solcher Nutzen der Form in der Triviallyrik der Volksweisheiten und Sprichwörter, obwohl im Verklingen begriffen, bis heute vernehmbar:

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht,
so oft er auch die Wahrheit spricht.

Mit der zunehmenden persönlichen Nutzlosigkeit auswändig verfügbaren Wissens in einer vom Buchdruck und lichtschnellen Medien geprägten Gesellschaft ist der Untergang der Lyrik eine folgerichtige Erscheinung, und der einst vom Hören einer aus dem Alltag sprießenden Lyrik geschulte Feinsinn der Menschen unter den Bedingungen des über die Gesellschaft ablaufenden Prozesses folgt dieser Entwicklung, ohne dass etwas anderes entstanden wäre, den Sinn für sprachliche Harmonie zu schärfen. Was von der einst so bedeutenden Lyrik verblieben ist, das sind die Texte der industriell erstellten und lärmend gewordenen Populärmusik, deren Inhalte zumeist den allgemeinen Mangel an befriedigender Sexualität widerspiegeln. Und. Das als Show eines unterhaltsamen Wettbewerbes dargebotene Marktgeschreie auf so genannten „poetry slams“.

Museum

Das Museum ist ein humanistisches Bastardkind der Kirche, und es transportiert auch die gleiche Verachtung der Möglichkeiten des Lebens in sich. Die in jedem Museum sichtbare Geste des Götzendienstes, mit welcher die Leistungen der Elite einer vergangenen Zeit zur andächtigen Schau und zur Verehrung an die Wand gestellt werden, teils nur aus dem einen Grunde, weil sie eben alt sind, sie ist ein Spiegelbild der Angst vor der Zukunft und der Missachtung der gegenwärtigen Möglichkeiten. Und. Während sich in dieser gesellschaftlich angesehenen Haltung der Blick nach rückwärts windet, hat sich längst die Angst vor der Zukunft, die übrigens immer auch eine Angst vor der Gegenwart und der mit ihr verbundenen Verantwortung ist, in die Seelen der ach so andächtig Blickenden mit ihrem eingeübten Kulturwürdigungsgesicht gesenkt. Jene zweifellos lebenden Genies der Gegenwart, deren feines Fühlen ihnen verbietet, ihren Drang zum Schaffen in der Werbebranche oder einem anderen Zweig der Industriekultur vermarktbar zu machen, fallen unterdessen in das persönliche Elend und die gesellschaftliche Verachtung. Das Museum ist ein Friedhof der Kultur, und die in seinen scheinheiligen Hallen von den Anwesenden abverlangte Geste der Andächtigkeit entspricht der aufgesetzten Würde einer Bestattung. Sie ist auch oft. Genau so. Schamlos verlogen.