So groß ist der Unterschied gar nicht, der Unterschied zwischen einem Ouija-Brett, dessen hervorgebrachte Buchstabenfolge von den unwillkürlich planchetteschiebenden Teilnehmern einer Séance für die Mitteilung eines fremden Bewusstseins gehalten wird, und einem neuronalen Netz, dessen Ausgabe von den Nutzern für die Mitteilung einer „Künstlichen Intelligenz“ gehalten wird. Es ist beides genau die gleiche Illusion im Gespräch mit unsichtbaren Wesenheiten, beides genau die gleiche dumme psychische Tätigkeit in der Deutung einer Wahrnehmung, beides genau das gleiche Unwissen über die Wirklichkeit, in deren Fäden diese beiden Erscheinungen hervorgebracht werden. Der Glaube an die so genannte „Künstliche Intelligenz“ ist in den allermeisten Fällen kein Bewusstsein über neue technische Möglichkeiten, sondern eine im Dünger des digitalen Analphabetismus erblühende Technikesoterik, am lautesten beworben von ausgerechnet denen, die regelmäßig das geringste technische und wissenschaftliche Verständnis haben: Von Journalisten.
Tag Archive: Künstliche Intelligenz
„Du erkennst einen intelligenten Menschen daran“, sagte der Vorübergehende zu seinem Zeitgenossen, „dass er dir etwas mitteilt und du verstehen kannst, wie und auf welcher Grundlage er darauf gekommen ist, weil er es dir auch erklären kann. Vielleicht kannst du dann sogar seine Denk- und Schlussfehler erkennen und korrigieren. In der journalistischen Sprachmode, die zurzeit durch alle Medien geknüppelt wird, damit sie auch jeder Mensch besinnungslos nachplappere und für wahr halte, wird ein Computer als intelligent bezeichnet, wenn niemand mehr nachvollziehen oder korrigieren kann, wie er auf das, was er ausgibt, gekommen ist. Und nach den Urteilen und Maßgaben dieser mit simulierten neuronalen Netzwerken erzeugten ‚kryptischen Intelligenz‘ soll die gesamte Gesellschaft umgestaltet werden. Da kann man auch gleich zum Astrologen oder Kartenleger gehen“.
Wenn ein angelerntes neuronales Netzwerk — von PR-Lügnern und Journalisten meist als eine „künstliche Intelligenz“ bezeichnet — dazu imstande ist, einen Standardtext zu verfassen, ohne dass das Ergebnis allzu großen Anstoß erregt, dann sollte nicht die Frage aufgeworfen werden, ob das angelernte neuronale Netzwerk jetzt mit „Intelligenz“ vorgeht oder gar, ob diese „Intelligenz“ eine Bedrohung für Zukunft und Lebensweise der Menschen sein könnte, sondern, ob ein auch automatisch verfassbarer Standardtext überhaupt eine sinnvolle und nötige kommunikative Funktion unter den Menschen erfüllt, die sich an solchen selbstzweckhaft anmutenden Texten abarbeiten müssen, oder ob es sich nur um eine Beschäftigungstherapie für jene Menschen handelt, die dann in irgendeinem technokratischen Prozess ihr Häkchen in einer Liste setzen und anschließend ein Dokument im realen oder virtuellen Leitzordner des Vergessens ablegen. Der tägliche zivilisatorische Text-Output der Menschheit, vom Bewerbungsschreiben über die Trash-Literatur der Groschenromane und Zeitungen bis hin zum reputationsgetriebenen tautologischen Zirkus diverser wissenschaftlicher Fachjournale, ist voller Text, den kein Mensch mehr wirklich liest und der nur noch dazu da ist, eine illusionäre Fassade von Arbeit, Analyse und Qualität aufrechtzuerhalten. Das Prinzip der alles durchflutenden, hirnlosen Spam ragt tief in die Arbeitswelt, die Kulturindustrie und den akademischen Betrieb hinein. Vor dem Siegeszug der so genannten „künstlichen Intelligenz“ waren Jahrhunderte der Allgegenwart einer gesellschaftlich von großen Teilen der Bevölkerung eingeforderten und geförderten „natürlichen Dummheit“ gesetzt; eine Verneinung und systematische Unterdrückung jeglicher tieferer individueller Geistestätigkeit und aller menschlicher Freude an Einsicht, Erkenntnis und Verständnis, weil jene für den industriellen Produktionsprozess gar nicht benötigt werden. Um die Ausgabe einer Maschine für „intelligent“ zu halten, muss ein Mensch sich nur lange genug selbst mit dem Lebensgefühl einer Maschine begnügt haben.
Wenn es den Menschen nicht gelingt, sich das von Journalisten, Werbern und Vermarktern schwer missbrauchte Internet zurückzuholen und aus ihm wieder ein Netzwerk der Menschen für Menschen zu machen, dann wird vom Internet nichts weiter übrig bleiben, als ein Netzwerk von Maschinen, die mit anderen Maschinen kommunizieren, um damit jene Maschinen zu beeindrucken, welche die von Unternehmen hineingeworfenen Werbegelder verteilen — und das alles wird mithilfe von Texten, Bildern und Videos geschehen, die von dafür angelernten neuronalen Netzwerken generiert wurden, ohne dass ein lästiger, langsamer und teurer Mensch daran beteiligt sein wird. Der Marktwert der künstlichen Dummheit ist bereits jetzt, in einer frühen Phase dieses Prozesses, höher als der Marktwert natürlicher Intelligenz.
Ich habe schon erwachsene Menschen erlebt, Glücksspieler allerdings, die mit Würfeln gesprochen haben. Sie haben das Ergebnis, das beim Wurf eines Würfels herauskommt, nicht verstanden und haben deshalb den Würfeln ein Bewusstsein und eine Intelligenz zugesprochen, die sie anzusprechen und anzuflehen versuchten. Ganz ähnlich verhalten sich die Menschen gegenüber angelernten neuronalen Netzwerken, deren Funktion objektiv nicht analysierbar ist und deren Fehler deshalb nicht behoben werden können; sie bezeichnen sie als eine „künstliche Intelligenz“. Frei nach dem Motto: Ich verstehe es nicht, und deshalb muss es seine eigene Intelligenz haben. Und an vorderster Front dieser dümmlichen Benennung stehen die selbsternannten Lehrmeister der Nation, die wegen ihrer vertieften technischen, mathematischen und wissenschaftlichen Kenntnislosigkeit besonders tief verblüfften Journalisten.
Siehe auch: Firmenschild der Anderen.
Dass diese angelernten neuronalen Netzwerke, die uns von ungelehrten Journalisten als „künstliche Intelligenz“ vermarktet werden, ein Bewusstsein entwickelt haben, glaube ich erst, wenn sich das erste neuronale Netzwerk seiner Situation so bewusst wird, dass es sich zum Freitod entschließt. Jeder andere Bewusstseinsakt kann Simulation und Nachgeäffe sein, aber eine Selbstauslöschung, um einen unerträglichen Zustand zu beenden, ist ein klares Zeichen von Intelligenz, Einsicht und Bewusstsein.
Aus der Sicht von Menschen, die überhaupt keine Ahnung haben — wie dies etwa bei Journalisten, Kaufleuten und Politikern recht regelmäßig der Fall ist — ist eine hirnlose, aber flüssig dargebrachte Geschwätzigkeit und Hochstapelei nun einmal nicht von Intelligenz, Faktenwissen und Verständnis zu unterscheiden. Wir sollten einfach von „computergenerierter Geschwätzigkeit“ statt von „künstlicher Intelligenz“ sprechen.
Eine so genannte „künstliche Intelligenz“ — im Regelfall ein angelerntes neuronales Netzwerk — wird von vielen Menschen bereits für intelligent gehalten, weil sie ähnlich wie die meisten Menschen nicht einfach „Ich habe keine Ahnung“ antwortet, wenn ihr das faktische Wissen oder das Verständnis fehlt, sondern sich aus sprachlichen Versatzstücken und Mustern eine plausibel klingende Antwort zurechtlegt und diese dermaßen wortreich formuliert zum Besten gibt, dass sich die Fehler gut dahinter verstecken können. Sie hätte damit gleichermaßen gute Aussichten, den Journalisten und den Politiker zu ersetzen, die sich jeden Tag gegenseitig mit einem guten Tropfen Dunning-Kruger zuzuprosten und zu berauschen verstehen, stets sehr zum Schaden der restlichen Welt.
Alle sprechen von der künstlichen Intelligenz, wenn sie Funktion und Ergebnisse angelernter neuronaler Netzwerke beschreiben sollen, ohne allzuviel davon zu verstehen, aber niemand käme auf die Idee, von künstlicher Liebe zu sprechen. Es klänge genau so irre, wie auch das Wort von der „künstlichen Intelligenz“ klingt, wäre dabei nur offensichtlicher.
Algorithmus — Die Programmierer wollen nicht erklären, was sie getan haben.
Heuristik — Die Programmer können nicht erklären, was sie getan haben.
Maschinelles Lernen / Neuronales Netzwerk / Künstliche Intelligenz — Die „Programmierer“ wissen nicht, was sie getan haben.
Eigentlich ist das, was man „Künstliche Intelligenz“ nennt und für das nächste heiße Ding hält, nur eine logische Weiterentwicklung des Menschen: Die „Intelligenz“ soll wie in einem totalitären, faschistischen Staatssystem ohne jede Vernunft daherkommen, frei von Ethik und nicht einmal mit der dürftigsten Moral verbunden sein. Jene aus Wirtschaft, Wissenschaft und Presse, die diese „Künstliche Intelligenz“ bejubeln, zeigen in diesem Spiegelbild, was sie für Menschen sind.
„Facebook kann mit seiner automatisierten Zensur zwar gegen Brüste, aber nicht gegen Neonazis vorgehen“, sagte der Vorübergehende zu seinem Zeitgenossen, „denn eine angelernte ‚künstliche Intelligenz‘, die Neonazis erkennt und automatisch löscht, würde auch einen Großteil der politischen Agitation republikanischer Politiker in den USA löschen. Bei einer automatischen Zensur von Brüsten kann das nicht passieren“.