Tag Archive: Gedächtnis


Wandelschein

Das Unerträgliche von heute ist die „gute alte Zeit“ von morgen.

Gedächtnis

Der Vorübergehende sagte grinsend zu seinem Zeitgenossen: „Je schlechter dein Gedächtnis ist, desto häufiger wirst du etwas völlig Neues erleben. Einige glauben sogar, die Riester- und Hartz-IV-SPD sei jetzt vor der Wahl unter dem ehemaligen Riester- und Hartz-IV-Generalsekretär sozial geworden“.

Tod durch Unterhaltung

„Was du vergessen hast“, sagte der Vorübergehende zu seiner Zeitgenossin, „das hast du im Grunde gar nicht erlebt. Je mehr du im Strom des immer wieder Neuen vergisst, desto mehr ist das bisschen Leben an dir verschwendet. Dinge, die produziert werden, um dich unentwegt mit Vergesslichkeiten zu unterhalten, töten dich“.

Gedächtnis und Geschichte

Die von einem Glorienschein aus Vergessen umleuchtete Umdeutung der Vergangenheit nach den jeweiligen Bedürfnissen der Gegenwart nennen die Menschen im kurzfristigen Fall „Gedächtnis“ und im langfristigen Fall „Geschichte“. Niemand lernt daraus, denn das ist niemals Zweck und Absicht dabei.

Erinnerung

Das Gedächtnis der Menschen ist sehr selektiv. Sie können sich an so viele Ereignisse in ihrem Leben in allen unwichtigen Einzelheiten erinnern, aber sie können sich leider nicht daran erinnern, wie oft sie mir das alles schon erzählt haben.

Der Tod der Lyrik

Wer noch weiß, was ein Gedicht ist, wird schwerlich eine gutbezahlte Stellung als Texter finden.

Theodor W. Adorno, Theorie der Halbbildung

Vermutlich ist die Lyrik die älteste Form künstlerischen sprachlichen Ausdruckes. Sie war keine nutzlose Kunst. Die formale Gestaltung, die Tendenz lyrischer Ausdrucksweise, Begriffe über den Gleichklang und das Metrum miteinader zu verbinden, weist in eine Zeit zurück, in der Menschen keine Schrift zur Verfügung hatten und sich dieser sinnlichen Qualitäten als ein Mittel bedienten, Text zum Erzählen (und zum Zaubern, denn ihre Weltanschauung war magisch) im Gedächtnis zu behalten. Tatsächlich ist solcher Nutzen der Form in der Triviallyrik der Volksweisheiten und Sprichwörter, obwohl im Verklingen begriffen, bis heute vernehmbar:

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht,
so oft er auch die Wahrheit spricht.

Mit der zunehmenden persönlichen Nutzlosigkeit auswändig verfügbaren Wissens in einer vom Buchdruck und lichtschnellen Medien geprägten Gesellschaft ist der Untergang der Lyrik eine folgerichtige Erscheinung, und der einst vom Hören einer aus dem Alltag sprießenden Lyrik geschulte Feinsinn der Menschen unter den Bedingungen des über die Gesellschaft ablaufenden Prozesses folgt dieser Entwicklung, ohne dass etwas anderes entstanden wäre, den Sinn für sprachliche Harmonie zu schärfen. Was von der einst so bedeutenden Lyrik verblieben ist, das sind die Texte der industriell erstellten und lärmend gewordenen Populärmusik, deren Inhalte zumeist den allgemeinen Mangel an befriedigender Sexualität widerspiegeln. Und. Das als Show eines unterhaltsamen Wettbewerbes dargebotene Marktgeschreie auf so genannten „poetry slams“.

Festplatte

Eines hat die Festplatte eines Computers — so gut und durchdacht sie beim erfahrenen Nutzer auch organisiert sein mag — doch mit dem Gedächtnis gemeinsam: Unnütze Daten sammeln sich an, und das Auffinden der nützlichen Daten wird mit der Zeit immer aufwändiger. Und dort. Wo Massenmedien für die allgemeine Infokalypse direkt aus den Nachrichtenticker für Tittitainment und unwichtige Fakten, Fakten, Fakten sorgen, ist man sich dieser Tatsache sehr bewusst.