Ich habe noch niemals die Menschen verstanden, die ihre Geburtstage so wichtig und feiernswürdig nehmen. Ganz so. Als wäre dieses unerinnerte Ereignis das, was ein menschliches Leben begönne. Wenn ein Mensch frisch aus dem warmen, feuchten Leib seiner Mutter geworfen wird, ist er hilflos und ausgeliefert, wie eine Frühgeburt nicht ein bisschen lebensfähig und allerlei Willkür unterworfen; vor dem noch ahnungslosen Bündel liegt erst die Aufgabe, unter Lust und Schmerzen zu einem Menschen zu werden. Wer unbedingt einen Jahrestag seiner Existenz als Mensch feiern will, der nehme dafür besser einen Tag, der wirklich ein Anfang seines eigenen Seins war — etwa den Tag, an dem er zum ersten Male in vollem Bewusstsein der Bedeutung dieses Aktes das Wort „Nein“ ausgesprochen hat, als die gewöhnlichen sozialen Forderungen an ihn ergingen. Wenn Eltern ihre Kinder wirklich liebten und diese nicht als Objekte ihrer Selbstverwirklichung missbrauchten, denn sorgten sie mit einer deutlichen Notiz dafür, dass eine solche erste, deutliche Regung des erwachenden Bewusstseins nicht in das Vergessen falle, sondern erinnert und als wichtiges Ereignis betrachtet würde.
Alles Gute zum neuen Lebenjahr, M. — du weißt ja, ich feiere so etwas nicht…
Also „Happy ‚No‘!“ statt „Happy Birthday!“ 🙂 … von mir aus gern 🙂 !
Erinnert mich spontan an einen Beitrag vom Nachtwächter, der (weniger bildhaft) so anhub:
„Das wichtigste Wort der deutschen Sprache ist das Wort ‚Nein‘. Es ist ein Wort, das aufzeigt, wie frei man lebt. Wenn man dieses Wort ohne Angst sprechen kann, wann immer man etwas nicht haben oder tun möchte, ist man frei …“, hat der ‚Nachtwächter‘ vor nicht allzu langer Zeit schon mal hier geschrieben.
Aber so einfach ist es im Leben eben nicht. Man könnte es ebenso – in erkannter Ambivalenz – zum Unwichtigsten erklären, wie ich das auch schon mal irgendwo (weiss nicht mehr wo) gelesen und, weil es mir wichtig war, kopiert habe:
„Das unwichtigste Wort der deutschen Sprache ist das Wort ‚Nein‘ genau dann, wenn die Ablehnung nichts kostet. Es ist ein Wort, das aufzeigen kann, wie viel man bereit ist, dafür zu zahlen, dass man frei lebt. Wenn man dieses Wort ohne Angst sprechen kann, kostet es nichts und ist belanglos privat; wenn’s ums eigene Leben geht, dann ist ein ’nein‘ möglicherweise die letzte Entscheidung im eigenen Leben und verdammt teuer: es kostet vielleicht das ganze geliebte Leben …“
Kann sein. Kann sogar u. U. Tod oder Freitod bedeuten. Frei leben heisst auch isoliert leben, imho. Wer sich in die Lage versetzt hat, oder besser: wer aus dem ‚Warmen, Feuchten‘ kommend dafür gemacht ist, so zu leben, kann von Glück und Unglück reden. Er kann sein ‚Nein‘ feiern und bedauern, je nach dem. Was derjenige, der seine Doppelwertigkeit nicht kennt, nicht kann.
Kurzum: Der Wert des ‚Nein‘ ist keine Doktrin und kann m. E. (leider) auch nicht zu einer solchen gemacht werden; er entspricht der individuellen Veranlagung zum Gratulanten oder zum Gratulationsverweigerer angesichts eines Lebens, in das man ‚zum Geburtstag‘ hineingeboren wird. Umstimmen lässt sich (erfahrungsgemäss) kaum einer.
Man mag das bedauern 😉 …
vogel sag ja zu der luft
maulwurf sagt nein
bistu erstickt
maulwurf sagt ja in der erde
fischlein sagt´s wasserwärts
schlamm ist sein haus
wurmsalamanders
nein in den wellen
ja in der Flamme
feuer verbirgt dich
ja oder nein
ist niemals zugleich
ja ja und nein
nein nein ja ja
immer sag ich´s
Es ist eine noch größere Kunst „Ja“ zu sagen. „Nein“ sagen, – das kann jeder.
„Nein“ ist Heimat nehmen in der Ablehnung. Die ständige Wiederholung des Wortes „Nein“ ist der Hymnus der autistischen Masse.
Freilich kommt es darauf an, wozu man „Ja“ sagt. Zum Leben „Ja“ zu sagen ist nötig, da wir nun einmal am Leben sind.
Ds Leben sagt zu uns allen einmal „Nein“ – dazu müssen wir auch „Ja“ sagen.
„Nein“ sagen ist das Einfachste, was es gibt. Es fordert keine Überlegung. Ein „Nein“ ist immer am richtigen Platz bei den Neinsagern.
Aber das „Ja“ will schon qualifiziert sein. Das einzige „Nein“ das qualifiziert ist, ist das „Nein“ zu denen, die immer „Ja“ sagen – aber heimlich Verneinende sind.
Jedoch soll man auch hier den Leuten gegenüber barmherzig sein: „Nein“ meint den Ort, wo heute dem Einzelnen noch eine Art Restkreativi-Töt gelassen worden ist.
„Aber das „Ja“ will schon qualifiziert sein“?
Ja.
[…] Von mir habe sie sich Rettung versprochen, aber auch ich hätte sie enttäuscht. Ich sei ein ähnlich wie sie verlorener, letztenendes vernichteter Mensch, auch wenn ich ihr gegenüber das nicht zugegeben hätte, sie fühlte es, wisse es. Von einem solchen Menschen könne Rettung nicht kommen. Im Gegenteil stosse einen ein solcher Mensch nur noch tiefer in die Ausweglosigkeit und in die Hoffnungslosigkeit hinein […] Ich hätte, sagte sie, auf dem zweiten unserer Spaziergänge in den Lärchenwald auf so klare und entschiedene Weise ihr als erster den Begriff von Anarchie auseinandersetzen können. Anarchie, sagte sie, und nichts sonst, darauf hatte sie wieder geschwiegen. Ein Anarchist ist nur einer, der die Anarchie praktiziert, hatte ich zu ihr im Lärchenwald gesagt, jetzt erinnerte ich mich wieder daran. Anarchie ist alles in einem Geisteskopf, sagte sie und wiederholte damit nur ein anderes meiner Zitate. Die Gesellschaft, gleich welche Gesellschaft, müsse immer umgedreht und abgeschafft werden, sagte sie und wieder war, was sie gesagt hatte, von mir. Alles was ist, ist noch so viel schrecklicher und fürchterlicher, als es von Ihnen beschrieben wird, sagte sie […] Hören Sie sich? fragte sie, Sie haben das alles selbst gesagt. Schuhmann und Schopenhauer, sie geben Ihnen nichts mehr, das müssen Sie zugeben. In allem, was Sie in Ihrem Leben, das Sie immer so gern als Existenz bezeichnen, getan haben, sind sie, naturgemäss, gescheitert. Sie sind ein absurder Mensch. […] Wie ich vom Moritz weggegangen bin, habe ich unten … den schwarzen schafpelzmantel der Perserin an der Wand hängen sehen. Die Behörden hatten ihm den Mantel ausgehändigt. Dazu auch noch ihre Handtasche. Wie ich zwei Tage später zu dem gänzlich verlassenen, noch nicht halbfertigen und schon wieder verrotteten Haus auf der nassen Wiese gegangen bin, ist mir eingefallen, dass ich der Perserin bei einem unserer Spaziergänge im Lärchenwald gesagt hatte, dass sich heute so viele junge Menschen umbringen und es sei in der Gesellschaft, in welcher diese jungen Menschen zu existieren gezwungen sind, vollkommen unverständlich, warum und dass ich sie, die Perserin, ganz unvermittelt und tatsächlich in meiner rücksichtslosen Weise gefragt hatte, ob sie selbst sich eines Tages umbringen werde. Darauf hatte sie nur gelacht und Ja gesagt. (Thomas Bernhard: „Ja“ / Suhrkamp)
Es ist zwar schwer, sich umzubringen, – aber es ist einfacher, als bewußt in der defizitären Welt weiterzuleben.
Man sollte es sich halt nicht zu leicht machen. Thomas Bernhard hin und her.
Es könnte doch sein, daß es auf einen irgendwann ankommt. Da will ich dabei sein, wenn es auf mich ankommt.
Weltschmerz ist albern – genauso wie Anarchie. Freilich – man muß trotzdem Respekt haben vor dem Frust der anderen.
[ … Wenn Eltern ihre Kinder wirklich liebten und diese nicht als Objekte ihrer Selbstverwirklichung missbrauchten, denn sorgten sie mit einer deutlichen Notiz dafür, dass eine solche erste, deutliche Regung des erwachenden Bewusstseins nicht in das Vergessen falle, sondern erinnert und als wichtiges Ereignis betrachtet würde … ]
Das stimmt, – und es stimmt auch, wenn mit diesem Satz nicht das erste bewußte Nein gemeint wäre, sondern das erste bewußte Ja.
Es kann aber sein, daß ein „Nein“ immer eo ipso eine höhere Bewußtheit erfordert als ein „Ja“.
Und das hieße dann, daß Bewußtheit gekoppelt ist an die Differenzerfahrung „seiner selbst“ zu „sich selbst“.
Die Bibel (man verzeihe mir diesen Exkurs in die sogenannten Heiligen Schriften) versuchte das so in den Griff zu bekommen, daß sie sagte: Bewußtseinwollen ist Wille zur Erkenntnis – ist Wille zur Absonderung vom Ganzen (Gott/Paradies) – ist intendierte Selbstvertreibung aus dem Zustand der Selbstverständlichkeit.
Ich denke, es kommt auf das „Ja“ an, welches wir dem depressiven „Nein“, welches als Schatten auf der Welt immer liegen bleiben wird, fest und freundlich entgegenstellen sollten.
Das „Nein“ zu BILD-Zeitung, Mac Donalds, und ähnlichem Mist ist ja ohnehin unstrittig
Ich denke, es kommt auf das „Ja“ an, welches wir dem depressiven „Nein“ … fest und freundlich entgegenstellen sollten.
Ja! Sie sagen es, Verehrtester 🙄 …
(Eine feste Burg ist unser freundlicher @ Hasenpflug. Möge er die Lärchenwälder dieser Welt gangbar machen!)
Lärche (Larch) ist bei Bachs Blütentherapie ein wichtiges Mittel:
Aus den folgenden Symptomen steigt die häßliche Fratze des zu verneinenden NEIN auf und erhebt ihr boshaftes Haupt:
– Sie haben Minderwertigkeitskomplexe
– Sie haben große Angst vor Misserfolgen
– Sie fühlen sich anderen Menschen meistens unterlegen
– Sie trauen sich selbst nicht zu, was Sie an anderen bewundern
– Sie erwarten grundsätzlich Niederlagen, glauben nicht, dass Sie Erfolg haben können
– Sie übernehmen Aufgaben nicht, weil Sie befürchten, dass Sie versagen und es nicht schaffen könnten
– Sie sind schüchtern, zaghaft und passiv
– Sie haben zu wenig Selbstvertrauen
– Lob macht Sie misstrauisch
– Sie schützen schon mal eine Krankheit vor, weil Sie sich nicht an eine Aufgabe herantrauen
– Sie fühlen sich nutzlos, für andere eine Bürde
– Sie fürchten Konkurrenz, verzichten lieber oder geben zu schnell auf
– Sie sind menschenscheu, am liebsten allein, damit – – Sie sich nicht an anderen messen müssen
– Wenn Ihre Fähigkeiten nicht oder nicht genügend gewürdigt werden, können Sie dies schwer ertragen
– Sie sind impotent oder haben Probleme beim Sex
– Sie glauben nicht, dass Sie bei Frauen/Männern Chancen haben
zitiert nach: http://www.bach-blueten-therapie.de/category/die-bachblueten-und-ihre-wirkungsweise/larch/
… bleibt noch übrig zu bemerken, daß die Bachblüten kein esoteriotischer Schmarrn sind.
Ja, ganz recht! Und weil dieses „similia similibus soluvuntus“ des Paracelsusses eben kein ‚esoteriotischer Schmarrn‘ ist, halte ich immer (auch!) ein Fläschchen Bach’scher Notfalltropfen griffbereit für den Fall, dass jemandem plötzlich der Spiegel vorgehalten wird und 😯 -Starre eintritt 😉 …